Hochmalignes Non-Hodgkin Lymphom des Gehirns
Juni 4, 2010
Seit dem 8. Januar kämpft meine Frau um ihr Leben. Dieser Blog ist mein Versuch, damit fertig zu werden. Veröffentlichen ist eigentlich sonst nicht meine Art. Dennoch hoffe ich, daß es andere Menschen gibt, die meine Denkweise und meine Art des Umgangs mit dieser Krise verstehen. Ich freue mich auf Feedbacks und hilfreiche Hinweise. Vielleicht ist ja jemand unter Euch, der uns gute Gedanken schicken kann? Für alles was hilft, bin ich dankbar! Anteilnahme ist eine besondere Form der Lebensenergie. Wer sie einmal geteilt hat mit Bedürftigen, kann nie wieder zurück ins Hamsterrad der Eigenliebe.(Non-Hodgkin-Lymphom)
(Rilke)
Methotrexat
Aus schwarzem Beutel Gelber Tod schlängelt venenwärts;
Karg zwinkern LEDs den grünen Takt dazu.
Vor Deinem Bett zerfalle ich in erbärmliches Geheul.
Wenn Diagnosen töten könnten, läge ich da für Dich.
Umschlaucht, bebeutelt und justiert, wartest du reglos;
Oben geht es rein und unten geht es raus, dazwischen Du,
Meine Liebe, wie am ersten Tag, als die Nabelschnur
Jemand durchtrennte, der Dein Schicksal nicht kannte.
Vierundzwanzig Stunden Gift, dazwischen Antidot, sechs
Zyklen, alle zwölf Tage: Sie töten Deine Abwehr,
Weil sie Dich tötet und unbeirrt meisselt der Doktor
Die Leukozahlen in den Bericht: Ich hoffe, nicht mehr.
* * *
Fehldiagnose
Wem soll man glauben? Dem Spezialisten? Auch er irrt!
Zuerst sollte es eine Enzephalitis sein, die sie mit
Kortison beschossen. Dann eine schwere MS,
Der sie zuwarteten, mit Blutreinigung,
weil sie nichts wussten.
Erst als sie in Dein Hirn bohrten,
Wussten sies genau.
Drei Monate zu spät:
Non Hodgkin….
…ein wunderbares Wort, das im Staccato hämmert:
Tod, Tod, Tod, Tod.
* * *
Nosokomiale Infektion
“Enterococcus “ sagt trocken deine Ärztin,
Anstatt klar sagen zu müssen, irgend ein Schwein
Hat sich nicht die Pfoten gewaschen!
So ein Blödmann kam auf die Idee; dir eine
Lipidinfusion ins gelähmte Bein zu legen:
Es lodert Deine Wade wie eine Fackel.
“Wir müssen leider den dritten Zyklus verschieben,
Wegen des Fiebers und der Infektion”
Und Dir läuft die Zeit und die Kraft davon!
Ich bin verzweifelt, und ich spüre alle Dämonen
Dieser Welt gegen mein Herz trommeln:
Nicht Dein Bein, nicht auch noch das!
Der Brand hat schon Dein Knie erreicht,
Als die, die Antibiotika wirken.
Zeit , Zeit, Zeit…gib uns Zeit.
* * *
Ifosfamid
Opa zeigte den schwarzen Kasten:
Kreuze, Spangen, Medaillen.
“Wofür Opi?”, fragte ich.
Das magische Wort
„Erinnerung“ fiel:
In Yperns Gräben kauern wir hinter Masken,
schwitzend, Blut spuckenden Mundes.
Die es nicht schaffen, umhüllt gelbe
Wolke unbarmherzig sanft.
Röcheln und wimmern
Vernehmend, warten wir auf Angriff.
– Vor deinem Bett sitzend, schau ich
Schweigend zu, wie Krämpfe dich schütteln.
Großvaters Erzählungen im Kopf,
reiche ich Dir die Nierenschüssel, ungefragt:
Alles in sich ist still, eigentlich, nur das Piepsen
des Monitors oder die Scherze des Pflegepersonals
Vom Flur her begleiten unseren Kampf, uneigentlich.
Lost, wie damals. Wer hätte je denken können,
dass der hunderttausendfache Qualtod von gestern
das Heilmittel von Heute ist. Welche Ironie, welcher Zynismus!
http://www.youtube.com/watch?v=mBpPioBKDJM&feature=related
* * *
Umkehrisolation
Mein Ölzeug ist ein grüner Einwegskittel,
Meine Sturmhaube ist tuffig-türkis,
Handschuhe mit ihrem widerlichen Geruch
Nach Teer und Gummi umstülpen meine Hände.
Die Schuhe in Kunststoff eingetütet und mit
Blauem Mundschutz maskiert, so trete ich ein
nach intensivem Genuß Sterilalkohols
In Dein Zimmer, ein Aquarium aus Glas und
Aluminium. Du liegst wie eine Schiffbrüchige da,
Umspült von Instrumenten, Tauen, Masten.
Bin ich da draußen oder bist du hier drinnen?
Wo sind wir in dieser unwirklichen Kulisse
Von Effektivität und Notwendigkeit?
Ich tue mein Bestes nicht zu würgen.
Mein übersättigter Atem raubt mir
Die Lust mich zu unterhalten.
Wozu auch, halbtot und voller
Beruhigungsmittel dämmerst du in
Die Stunden hinein. Ich sitze nur da,
Deine Hand haltend. Heute ist Donnerstag
Und morgen werde ich Freitag sein.
* * *
In der Gasse der Ratten (T.S.Eliot)
Es fällt mir schwer, etwas tröstliches zu erkennen.
Jeder der liebt, stirbt mit dem geliebten Sterbenden.
Ist es nicht unsäglich vermessen zu glauben, Glück
Bestünde im Erreichen gesetzter Ziele?
Wer sind wir denn, dass wir glauben, die Sonder-
Kreation eines allmächtigen Gottes zu sein?
Wie absolut narzisstisch muss unser Glaube sein,
Dass der gerade zu uns eine exklusive Liebe pflege?
Zu uns, die wir alles, was er geschaffen´hat,
Mit Füßen treten oder mit Händen hineinwerfen,
In den Orcus der Ignoranz von Leben und Tod?
Warum sollte er uns lieben, die wir ihn verraten?
Du sagtest mir, als ich weinend klage, Dir nichts
Versprechen zu können, dass Du genau das willst:
Ehrlichkeit! Sie sei alles, was Du von mir willst.
Seitdem wandle ich dort, wo der Tote seine Knochen
Verlor, in der Gasse der Ratten, am Ende von Morgen.
* * *
Die Macht des Pflegepersonals
„Nein, das ist nicht nötig! Laß ich nicht zu!
Ich red noch mal mit Ihr!“,-
Der bipolare Hüne von Pfleger dreht sich
um und geht in Dein Zimmer. Dabei wolltest Du
nur, daß man Dir die Haare abnimmt.
Du magst nicht zuschauen, wie sie Dir
ausfallen. Seit Wochen wurde Dein Haar
nicht mehr gewaschen. Überall juckt es
Dich. Du findest keine Ruhe. Er behandelt
Dich wie ein kleines Kind. Durch das
Fenster des Aquariums sehe ich Deinen
vergeblichen Kampf: Deine Entmündigung!
Am anderen Tag komm ich mit Jonathan.
Wir haben ein Thangka und den Rasierer
im Gepäck. Dieser unmögliche Kerl
sträubt sich immer noch.Ich argumentiere,
daß Du Buddhistin seist und Dich auf den Tod
vorbereiten willst. Das sei Dein Glaube.
„Aber sie stirbt doch noch nicht, auch
wenn sie die schlimmere Form hat?!“
Ich sage nur, es sei egal, es sei Dein
Menschenrecht. Er zieht beleidigt ab:
„Aber das machen sie selber, ich nicht!“
Wir hängen Dir das Thangka auf und rasieren
Dir den Schädel: Du weinst vor Glück!
Danke, Danke, Danke, zittert Deine Stimme.
Ich zitiere das Mahamudra und wir singen
Mantren. Mahakala hängt nun Deinem
Bett gegenüber. Fest hälst Du meine Hand
und ich spüre, daß Dir das alles Kraft
gibt. Draußen fragt mich mein Sohn, warum
der Kerl keine kahlgeschorenen Frauen mag?
„Hast Du nicht bemerkt, er bekommt Glatze!“
* * *
Überstehen ist alles (für H.Ulrich und R.M. Rilke)
„Verknotet“ heißt das Buch
über Deinen Kampf gegen den Krebs.
Ich las es, Deiner Stieftochter zuliebe.
Zu schmerzhaft waren meine eigenen
Erinnerungen. Ich las es nicht gerne.
Aber gute Bücher müssen auch nicht
gefallen, sie müssen bewegen, an-
regen, den Kurs zu überdenken
und auch zu ändern. Ja, sie müssen
sein, wie Krankheit selber, katharsiserfüllt.
Wenn wir in uns das Leuchten finden,
egal welches Anlitz es trägt, dann
trägt es uns über allen Zweifel
hinweg in das Land des Glaubens.
Nenn es Fatalismus, nenn es Naivität,
es wirkt, in uns , aus uns heraus:
Als ich selber da lag, zerschellt
auf weißem Laken, war es nicht so
peinigend, wie jetzt, als ein geliebter
Mensch gestrandet liegt. Ich kenne
nun beide Seiten. Wahnsinn gehört den
Übriggebliebenen, den Zusehenmüssenden!
Wir, die sterben, sehen den Urgrund,
vor dem wir deutend Rätsel raten.
Der Weg der Krankheit ist ein schwerer,
Alptraum erfüllter Erkenntnisweg;
Angst und Not triefen aus allen fieberoffenen
Poren; Wir wissen, was Ohnmacht im
reinsten Sinne bedeutet: Überstehen ist alles!
* * *
Der entschiedene Betreuer
Als Du nicht mehr sprechen,
noch schreiben konntest,
bat mich der Arzt, die Betreuung
zu übernehmen.
Per Gerichtsbeschluß
entschied ich auf einmal
über Dein Leben.
Ich konnte aber
nicht für Dich entscheiden,
ich konnte nur für mich
entscheiden.
So entschied ich die Biopsie,
ich entschied die Chemo,
ohne Dich zu fragen,
weil ich Dich liebe, ich Egoist!
* * *
Lea
„Ist sie nicht süß!“,-deine zitternde Hand
deutet auf die Fotos vom letzten Winter,
Du weinst bitterlich, und ich weine mit.
„Ich will noch nicht gehen!“, und große
Tränen kullern über die Schläuche auf
Dein durchschwitztes Kissen „Nein, Nein!“
Sie ist im Moment in der Schule, denke ich
und sehe sie vor mir: Laut lachend
wie Pippi Langstrumpf, breitbeinig,
die Hände in die Hüften gestemmt,
lebenslustig. Ich habe ihr reinen
Wein eingeschänkt. Sie weiß, um was es geht.
Alle waren darüber schockiert,- meinem Kind
die Wahrheit zu sagen!! Aber Lea packt
das! Sie ist ihrer Mutter Tochter.
Sie hat ein Recht auf Ehrlichkeit,
auch wenn sie weinen muß, wie ihr Papa.
Sie ist ein Kind der Liebe!
Sie hat rotblonde Zöpfe!
* * *
Spiegelungen
Drei mal hab ich eine Chemo
mitgemacht:
Das erste Mal, nach einem
Unfall. Der Arzt sagte mir,
sie haben Glück im Unglück.
Ihr Knie ist zwar kaputt,
aber wir haben auch früh
den Krebs entdeckt!
Das zweite Mal, als ich mich
umschulen ließ. Die Nächte
waren unruhig, ich dachte
aus Stress. Nein, nein sagte
der Arzt, es ist ein Rezidiv.
Das dritte Mal wollte ich
zurück in meinen alten Job.
Es sah alles gut aus, aber auch
da sagte mir der Arzt, daß die
Schmerzattacken nicht von
den Anstrengungen kommen.
Und jetzt stehe ich hier vor deinem
Bett und mach meine vierte mit.
Es ist anders, es tut mehr weh:
Die größte Fähigkeit des Menschen
ist Mitgefühl empfinden zu können!
* * *
Kurativ 20 bis 30%
Vor dem ersten Zyklus
sagte mir der Prof. offen,
weil ich um Offenheit bat:
„Wir können froh sein, wenn
wir einen halbwegs
kommunikativen Menschen
retten können, wenn es nicht
schon zu spät ist. Ich weiß nicht,
was ich tun würde an Ihrer Stelle!“
Er legte die Hand auf meine Schulter.
Diese Ernüchterung half mir.
Andere hätte Sie zerstört,
mir gab sie Kraft: Du konntest
nicht mehr sprechen, warst
völlig gelähmt und Dein Blick
verlor sich leer im Raum.
Nach dem zweiten Zyklus,
als sich Dein Blick wieder
fing und Du wieder Worte
zittrig von Dir gabst, war
ich erstaunt und angstvoll,
– einer Illusion zu erliegen.
Das MRT sprach davon,
daß Dein Gehirn
geschrumpft sei. Wasser
hätte sich gesammelt, eine Stelle
sei beschädigt, aber insgesamt
sei das Lymphom stark
zurückgegangen:
Zurück wohin? Wo kam es her?
Jetzt nach dem dritten Zyklus
hast Du wieder gute und schlechte
Tage. Du sprichst ganze Sätze
und die eine Körperhälfte bewegt
sich wieder. Dein Gedächtnis
hält nicht lange, aber Du versteht
meine blöden Späße wieder.
Ich weiß, wir sitzen auf einer
Sandbank zwischen Ebbe
und Flut und wissen nicht,
was wir uns mehr wünschen
sollten: Ich streichel Deine
Wangen verlegen, ratlos!
* * *
Angsteinflößende Stille und Dein Engelslächeln
Mit großen Augen wundersam
schaust du in die Welt,
alles kommt so wie es kam,
neu und unverstellt.
Wirst du gerade neu geboren,
oder stehst Du vor der Tür,
über die wir alle nur rumoren,
da sie ängstigt für und für?
Ratlos meine Angst zu stillen,
blicke ich zum Fenster raus,
suche in Worten Deinen Willen,
Gedanken kennen sich nicht mehr aus!
Bist Du am Kommen, bist du am Gehen,
sagst Du Hallo oder Aufwiedersehen?
Meine Deutungskunst versagt.
Ists ein Zeichen oder kann ichs verstehen??
Verstummend meine Tränen gehen.
Glaube mir, hab ich Dir gesagt,
Kommend seh ich Dich verwehen.
http://www.youtube.com/watch?v=xzX3F6dkSCI
* * *
Der Port
Alle Venen sind durch.
Nichts mehr, was noch
sinnvoll haltbar wär.
Uns packt die Pein,
was es zu tun gibt,
auch einen Ausweg?
Der kluge Chirurg fragt
nach und ich sag, was
ich weiß: „Wir nehmen
also das Modell, dann
hat sie Ruhe mit dem Gesteche!“
Ich hatte es auch,
damals, als sie mir
den notwendigenTod
durch den Körper jagten:
„Da kann man alles infundieren,
auch wenn´s teurer ist!“
Am nächsten Tag führen
sie den Schlauch zu Deinem
Herzen und pflanzen
den Zugang unter die Haut.
Ob nun alles gut geht?
Sepsis lauert oder
der Brand der Lunge:
Wascht Euch die Pfoten,
Ihr Helferleinneurotiker!
Denn Jetzt seid ihr an
Ihrer Lunge, an Ihrem Herzen!
Mein Atem hält stille,
wie der einer Maus,
im Versteck vor der Katze,
im Hafen der Schiffbrüchigen,
vor dem Tor der Toren!
***
Väter des Olymps oder wenn das Gehirn erkrankt (für Tilman Jens)
Wir wissen nichts.
Unsere Geburt begann wie ein Märchen,
aber Märchen hießen uns immer Kind zu bleiben.
So kamen wir hoch, um noch tiefer zu fallen,
in den Schlund der Auflösung; zünde das Licht an,
anstatt Container zu füllen, bitte!
Doch die Flamme, die einst so hell brannte,
verglimmt, und es ist doch noch so weit
den Berg hinauf!
Aber wozu noch Angst haben vor Fehltritten,
ohne Licht gibt es kein morgen mehr,
und die Gegenwart ist finster.
Herrlich war das Antlitz des Ersten,
beim Einlauf in die Arena, und das Beste
in uns feuerte ihn an den Kranz zu erringen.
Nun liegt es da in Kot und Urin,
unser Idol, das Genie unserer Wanderung;
wer leuchtet uns nun, wer ist des Wortes so mächtig?
Aber wozu noch Furcht mehren? Vor dem Ende
ist das Vergessen so groß und mächtig geworden?
Wer trägt die Fackel weiter, die verglimmt?
Oh Väter, die ihr uns einschwöret auf das Gute
im Menschen, wie zerbrechlich seid ihr doch selber:
Der Sprung im Götterporzellan.
***
Der Rocky-Horror-Picture-Ausflug
Dirk, Jonathan und ich
kommen dich besuchen:
Wir dürfen mit Dir raus!
Zwischen den Zyklen
sollst du wenigsten einmal
vor die Tür und frische
Luft schnuppern. Ich
freu mich wie ein Kind
zu Weihnachten, und
wir packen Dich aus
dem Bettenlager. Du
kannst es kaum fassen!!
Abgekoppelt von Infusion
und Monitor setzen wir Dich
in den Rollstuhl, zugedeckt.
Wir binden Dir den Mundschutz
zu und ab geht die Post.
Die Pfleger grinsen sich eins.
Im Fahrstuhl das gespenstische
Bild im Spiegel: Tim Currys Gangster-
Bande, grün vermummt, mit
einer glatzköpfigen Geisel.
Das Gruppenbild mit Dame
geht mir nicht aus dem Kopf.
Wir sitzen auf einer Bank:
Dein erster Sonnenschein
nach langen Monaten, begrüßt
von Deinen leichten Tränen.
Die Leute um uns glotzen
uns an, als kämen wir
vom Mars: Ich bin irritiert.
Wir scherzen viel und bringen
Dich nach einer halben
Stunden wieder hoch auf Station.
Als wir das Zimmer verlassen,
ziehen wir uns Kittel, Hauben,
Handschuhe und Schuhschützer aus.
Als ich mich zum Gehen umdrehe
sagt mir die Schwester: Sie hätten
für draußen alles ausziehen können!
Da wird mir unser Unsinn klar;
wir haben ja nichts, nur Du!
Wir sahen aus, wie die Frankensteins,
frisch aus der OP kommend!
Jetzt weiß ich, wie sich Nina Hagen fühlt!
http://www.youtube.com/watch?v=bc80tFJpTuo&feature=related
***
Campus oder Goethe im Kopf
Junge Menschen spazieren aus den Hörsälen;
Sie umfließen mich, der gegen den Strom
Zum Haupteingang will: Die Frage, ob ein Arzt
Gut oder schlecht ist, ist nebensächlich, wenn
Man in der Not keine Wahl mehr hat.
(Seit Jahrhunderten suchen Mediziner
einen Weg zwischen Scharlatanerie und
effektivem Wissen, zwischen Aderlaß und
Trail and Error. Zwischen Standarttherapie
und genialen Einfällen waten sie differential-
diagnostisch durch den Sumpf der Phänomene. (Ich bin Ihnen nicht böse darum; es ist nicht leicht, alles zu wissen, was nötig ist, um ein Leben zu retten.)
Es ist ein steiniger und gefährlicher Weg zu Gott.)
Dankbar bin ich, dass überhaupt noch jemand
Daran glaubt, Dich retten zu können. Dem es
Egal ist, wer Du bist oder was Du bist. Der
Nicht danach fragt, was es kostet oder ob es
Sinnvoll ist, abwägend wie ein Krämer.
Es muß jemand geben, der in der absoluten
Hilflosigkeit, selbst wenn er selber hilflos
Wäre, es dennoch wagt, den Gang der Dinge
Aufzuhalten, dem Tod seine Fratze zu nehmen.
Das ist Mitmenschlichkeit, bei aller Geräte-
Kunst und Massenabfertigung. Bei allen
Fehlern und Fehlentscheidungen, die auf dem
Weg liegen können, jeden Tag aufs Neue.
Das ist der hippokratische Eid in uns allen,
Das, was wir uns alle versprechen sollten,
Trotz Krise, Sparpläne oder Abwägungen:
Wir lassen niemand alleine am Abgrund stehen,
Wir lassen niemand auf dem Weg zur Mensch.-
Heit zurück oder ins Vergessen fallen.
Als ich den Haupteingang erreiche, sind alle
Diese Gedanken durch mich hindurch
Geflossen, und ich komme auf Station:
Der Professor hebt die Hand, als er mich sieht,
Und ich grüße zurück, und ich bin dankbar
Für diese Geste, bei all den Kämpfen, die
Er kämpfen muß, auch den verlorenen!
***
Deine Lider sind grintig,
Deine Schleimhäute werden
abgestossen, jedesmal
dasselbe nach Ifosfamid:
Überall reißt Deine trockene,
blättrige Haut auf, und
du schälst Dich aus dem
Mantel der sterbenden Zellen.
Überall juckt es Dich und es
ist kaum auszuhalten Dir
zusehen zu müssen, wie du
dich selber zerfleischt.
Die aufgekratzten Stellen
bluten und verkrusten sogleich.
Nichts ist übrig von dem gelassenen
fröhlichen Menschen, der Du mal warst.
Deine zittrige Hand greift nach
meiner und ich halte Dich so
gut ich eben kann. Todeskämpfe
haben den Klang von Verwehungen.
Ich sah oft Menschen verwehen;
mein Werdegang führte immer
wieder an den Lagern der
Sterbenden als Sterbender vorbei.
Das Acrolein frißt sich durch Deine
Gedärme und leise tropft Mesna
in die Tülle. Der Biochemiker in mir
begleitet dich mit trockener Neugier.
Aber in mir ist auch der Mensch, der
dich liebt, der hofft, der bangt, der
verzweifelt: Ich weiß nicht, wie die
Ärzte es hinkriegten, läge ihre Liebe da?!
Sie sind geschäftig in ihren Gesprächen,
vor ihren Monitoren. Alle haben was zu
tun. Nur ich nicht. Ich tue nichts: Sitze
vor Deinem Bett und heul mich leise wund.
***
Der Sommernachtsalp
Die schlimmsten Tage sind die, an denen
Du mich nicht mehr erkennst.
Ich gewöhne mich immer noch nicht daran.
Ist es die letzte Chemo, sind es die
Beruhigungsmittel oder ist es
das Lymphom, was Dir Erinnerung raubt?
Keiner erklärt etwas, keiner weiß was.
Völlig alleingelassen trage
ich meinen Schmerz durch den Tag hindurch.
Aber das Ungeheurlichste ist Dein Mitleid
mit mir, wenn ich, weinend über Dich
gebeugt, Dir etwas aus dem Becher zu trinken gebe:
„Warum weinen Sie denn? Ist es so schlimm?“
Du streichelst meine Wangen
und tröstest mich, den Fremden, der Dich liebt;
Ein Fremder, ein stiller Wanderer an Deiner Seite,
unerkannt wie Puck im Dickicht
der hofft, daß sein Alptraum Dich nicht zerstört!
***
Bestrahltes Blut
Während ich diesen Text schreibe,
am offenen Fenster,
scheint Deutschland ein Tor gegen
England geschossen zu haben.
Draußen tobt der Bär und in mir
die Angst um dein Leben!
Was geht mich dieses Pack von
Erfolgsgläubigen an, wenn ich aus
dem Krankenhaus komme
und erfahren muß, daß Dein
Hämoglobinwert dramatisch gesunken
ist?! Ich weine, während es böllert!!
In Afrika ist Weltmeisterschaft,
und Du stirbst; welcher Hohn,
welches Leid!?! So ähnlich muß es
auch den Armen und Kranken in
den Townships gehen…ich denke
an Soveto, und als ich das erste mal
von Arpatheid gehört habe. Kauft
keine Früchte vom Kap!
Freiheit für Mandela!
Damals durfte kein Weiß Blut
einem Schwarzen spenden und umgekehrt.
Man hätte es soviel bestrahlen können,
wie man wollte: Es wäre nie „sauber“
gewesen!
Die Zeiten haben sich gewandelt:
Heute feiert die Welt ihre Götter
unter der Wintersonne Bloemfonteins!
Ich sehe Dich vergehen, in Erschöpfung
leise atmend mich berühren,
während das bestrahlte, saubere Blut
durch den Port in deinen Körper fließt.
Kein Keim, nichts darf Dich erreichen,
was deine Abwehr nicht verkraftet.
Bestrahltes, keimfreies Blut,- und ich
höre die Explosionen einer Neuen Zeit,
die die ewig selben dummen Eitelkeiten
von Sieg und Niederlage verkünden,
die den Keim der alten Vorurteile schon
längst wieder in sich tragen!
***
Der Monitor
Atemfrequenz:
Ich lausche den gelben Wellen
im inneren meiner Lunge;
ich atme mit Dir, um Dir Ruhe
zu geben.
Pulsfrequenz:
Mit jeder neuen Hiobsbotschaft
werde ich lethargischer;
Tötet mich, ihr Fakten und Daten.
Ich speie meine Leber euch entgegen.
Herzfrequenz:
Ausgepumpt bin ich
von all dem Leid der anderen,
meines unverrichtet zu leugnen,
bis ich dran bin!
Temperatur:
Ich koche den Sud aus Galle
und Gift, den ich täglich trinke
in der Anonymität der
Intensiven Medizinmänner!
Blutdruck:
In mir steigt der mechanisch
Wunsch die Helfer zu töten,
weil die Tortur unerträglich
ist und zum Glück
hält mich all das
Gepiepse ab!
***
Reizwäsche
Schon wieder eine Infektion,
und sie wissen nicht woher!?
Sie hoffen auf ihre Breitband-
Antibiotika, bis auch die nichts
mehr ausrichten können.
Die Sepsis droht, der Tod durch
unkontrollierte Stämme: Ich
grabe nach Kriegsbeilen für denjenigen,
der mir die Botschaft überbringen
wird. Derweil starre ich wie
ein Autist auf das ewig selbe
Kleinmuster deines Flügelhemdes:
Genau das ist Krankenhaus:
Entmündigung und Verharmlosung,
bis daß der Tod uns scheidet!
Und dann, will es keiner gewesen
sein; es war das Kalkül: Hätten wir sie
nicht getötet, hätte der Krebs sie getötet.
Es ist hart, im Dienste der Menschheit
eine Laborratte zu werden und das in
diesen Hemden: Das Muster
der Flügelhemden für Engelmacher!
***
auf der Brücke in unserem Garten:
der mir klar machte, daß ich Dich
Nottrauung
Die Chemo ist nicht angeschlagen,
jetzt kommt die Strahlentherapie.
„Maximal ein halbes Jahr“ sagt mir
ein Spezalist und ich warte
auf Deine Worte: „Heirate mich bitte?!“
„Ja mein Schatz, alles was Du willst!“
Der Sozialdienst nimmt Verbindung
mit dem Standesamt auf, und ich versuche
Deine Strahlentherapeuten zu erreichen.
***
Strahlentherapie
Es wächst weiter, es läßt sich nicht stoppen.
Wir können nur noch Zeit gewinnen.
Du willst Zeit gewinnen und nur darum
gehe ich für Dich rüber in die Strahlentherapie.
ein freundliche, kluge und sachiche
Frau. Sie nennt mir die Nebenwirkung,
die zwischen Hirnschwellung und Demenz
rangieren. „Lyphome reagieren meistens recht gut
auf Bestrahlung. Erste Verbessererunngen sind
nach etwa vier Wochen zu erwarten.“
Ih verliere Dich. Vor dieser Ärztin wird mir
aufeimal klar, daß ich Dich verliere.
Wir gewinnen Zeit: ein paar Monate, ein Jahr?
Manche Patienten haben Jahre überlebt.
Um welchen Preis? Als gekochtes Gemüse vegetieren?
Dieser Weg wird kein leichter sein.
Das Gespräch
Am Abend kommt der Chefarzt
der Intensivmedizin in Dein Zimmer.
Ich habe ihm im Vorgespräch gesagt, daß ich Dich
aufgeklärt habe: Heilung ausgeschlossen.
Er spricht langsam und akzentuiert,
da er nicht weiß, wieviel bei Dir ankommt.
Er wiederholt viel, weil Dein Gedächntnis
nachläßt. Er erklärt Dir, daß nur noch palliativ
therapiert werden kann. Dass sie Dich nicht aufgeben.
Und Du ganz bestimmt von dieser Station nicht
vergessen wirst, weil Du tapfer und stets freundlich
den schwersten Weg eines Menschen gegangen bist.
Er will Dir Deinen Wunsch erfüllen, mich zu heiraten;
aber Deine Erkrankung läßt keine eindeutge Bewertung
Deines freien Willens zu. Aber egal aus welchen Gründen auch
immer Du heiraten willst, es muß klar sein, daß Du das
aus freiem Willen heraus willst. Er wird Dich begutachten
und alles dafür tun, daß Dein Wille geschehe.
Ich stehe dabei und erlaube mir den bitteren Witz, daß jemand
mit Leberzirrhose heiraten darf, weil er einen freien Willen
hat?!? Was wird wohl noch von deinem „freien Willen“ übrig
sein, nach Chemokeule und Strahlenbekochung?
Er drückt noch einmal „Antje“ fest die Hände
und bekundet seine Hochachtung vor Dir.
Ich danke diesem Arzt innerlich für diese
Geste. Er hat uns bisher nicht im Stich
gelasssen, er hat uns nie etwas vorgemacht.
Danke, Doc!
***
was es heißt Dich zu verlieren,
***
Unterm Lindenbaum
Hier im Innenhof,
vor der Sportmedizin,
sitzt Du nach der ersten
Bestrahlung im Rollstuhl
unterm Lindenbaum
und ruhst Dich aus, gelähmt
und für alle Zeit von deinem
früheren Leben abgetrennt.
-Kein schöner Land in dieser Zeit-
Du wirkst wie eine alte Frau,
und Dein junges wunderschönes
Gesicht irritiert bei allem Zerfall.
-da haben wir so manche Stund, gesessen da in froher Rund-
Du sprichst wenig,
langsam, zittrig:“ Mein Gedächtnis
ist nicht mehr so gut. Ich weiß wer Du,
bist mein Schatz, noch hab ich Dich nicht
vergessen.“
-und taten singen, die Lieder klingen-
In mir schreit der Schmerz
der Verlorenheit; Keiner hört mich in diesem
Universum der Einsamkeit, und ich verkneif
mir die Tränen, die keiner sehen will,
-Wo wir uns finden, wohl unter Linden-
weil keiner sie verstehen kann, da keiner
mehr da ist, der sie noch ertragen kann,
weder in Dir noch in mir!
– zur Abendszeit-.
***
Kaktusblüte
Ich fasse es nicht;
seit Jahren versuche ich dieses Ding
zum Blühen zu bringen und ausgerechnet
dieses Jahr blüht er in Hülle und Fülle.
Heike war heute bei Dir.
Sie sagt, Du verkraftest die Bestrahlung gut
und seist sehr munter gewesen.
Ich glaube gar nichts mehr,
ich schaue auch ungläubig
auf den Kaktus!
***
In der Schleuse
Ich warte mal wieder,
bis man mich reinruft.
Hände desinfzierend
schaue ich mich um.
Dieser Ort,
zwischen drinnen und draußen,
zwingt mich umzudenken:
Es besteht Hoffnung als
Akt der Befreiung von
Gleichgültigkeit.- so lange
Menschen um Menschenleben
ringen, bleiben dieTüren offen
und Chancen wirken; geben wir den
anderen auf, geben wir uns auf!
***
Die Pfleger und Ärzte
In ihren blauen Kitteln
flitzen sie dem Gepiepe hinterher.
Sie schieben Wechselschicht,
sind übermüdet und schlecht bezahlt.
Dennoch bleiben sie freundlich,
versuchen zu verstehen,
auch wenn es manchmal den
Rahmen sprengt.
Ich bin stolz,
solchen Menschen begegnet zu sein,
normalen Menschen, die sich der
Unmenschichkeit widersetzen.
Die es jeden Tag aufs neue
versuchen, dem Tod ein Leben
abzuringen, auch auf die Gefahr hin,
daß die Routine des Sterbens
sie eines Tages selbst einholt.
***
Aussichten
Dein neues Zimmer hat eine
tolle Aussicht auf Berlin:
Hauptbahnhof, Kanzleramt, Reichstag
und wenn man seinen Kopf
im Besucherzimmer arg verdreht,
kann man sogar den Fernsehturm erspähen!
Es strahlt die sozialistische Sonne,
und ich erkenne das Lichtspiegelungs
-Kreuz, das Erich so ärgerte.
Nur Du hast von dieser Aussicht nichts.
Du liegst im Bett und bist unruhig in
dieser neuen Umgebung. Der junge
Dr. bittet mich vor die Tür: “ Haben
Sie schon über alle Eventualitäten geredet?
Will sie z.B. wiederbelebt werden?“-
„Ich habe es angesprochen, Doc. Sie will es sich
überlegen. Es wäre gut, wenn wir zusammen
noch mal darüber reden!?“-
„Ja, das tun wir. Jetzt soll sie sich erst einmal
eingewöhnen!“ Wir schütteln uns die Hände, und er geht,
um seinen Bericht zu schreiben.
Deine Eltern sind wieder mal in den Urlaub gefahren,
wie zu Ostern, als Du ins Koma gefallen warst und ich zu Deinem
Betreuer bestellt wurde. Immer wenn es haarig wird,
Entscheidung getroffen werden müssen, in denen es um
Leben oder Tod geht, sind sie weg, mit unserer Tochter
im Gepäck. Aber sie wollen bestimmen! Sie wollten sogar
dagegen klagen, daß ich Dein Betreuer geworden bin;
der Anwalt war schon bestellt, da wurden sie gewahr, daß die
Ärzte es veranlaßt haben, weil sie mal wieder nicht da waren!
Sie wollen bestimmen, aber keine Verantwortungen tragen,
diese vorbildlichen Bundesbürger mit ihren Wessi-Ossi-Vorurteilen,
ihrer Angst vor dem Finanzamt und den höheren Mächten als Blitzableiter;
Sie wollen bestimmen, was mit unserer
Tochter passieren soll, was mit Dir passieren soll, diese
Republikflüchtigen!
So leere ich die Tüten mit Wäsche
und trage mal wieder alleine die
Verantwortung, mit Dir, die manchmal ganz nah und
manchmal ganz weit weg ist!
***
Der Umzug
Deine Tage sind gezählt auf dieser Station:
DU weinst bitterlich. Du willst nicht gehen,
dieser Ort des Grauens gab Dir Geborgenheit:
„Ich hab sie ja alle so lieb!“- ich weine mit,
weil Dein kindliches Gemüt mich so berührt.
Pfleger Thorsten gibt Dir noch was zur
Beruhigung: Er lacht und scherzt mit Dir
und Deine Sorgen verfliegen.
Verfliegende Sorgen!? Noch vor einer Stunde
war Dein Vater da, der wieder einmal seine Leier von „es wird
schon alles wieder gut, reiß Dich zusammen mein Kind
und du mußt jeden Tag so leben, als wäre es der Letzte“
runterspielte: Ein echtes Abziehbild proletarischen DDR-Urgesteins!
Er will Dich in irgendeine Klinik geben und mit irgendeinem
Heilpraktiker heilen. Er erzählt seine Phanatsien, weil er letztlich nichts weiter
zu bieten hat als Angst vor Deinem Tod. Er macht sich was vor, Dein Held der Arbeit,
der sich seinen Knickfinger abschnitt, weil er auf keine Behandlung mehr hoffte!
Mutmachen, mutmachen, rumzazza, rumzazza, bloß nicht hinsehen
und Havelhöhe.
Ich weiß noch nicht, was geschehen soll! Es ist ja nicht mal gesagt, ob
überhaupt die Strahenherapie längere Zeit das Lymphom stoppt.
Ich weiß nur, daß ich Dich nach Hause zu Deiner Tochter zurückholen
will. Ich gebe zur Zeit meine Sebständigkeit auf, weil ich für Dich und Lea
da sein möchte: Und Amen und Amen und Amen, lieber Vater!!!
Auf und Ab
Wie oft ich U-Bahn fahre,
Karten löse, dieselben Straßen
entlang gehe, denselben Aufzug
benutze; ich weiß es nicht mehr?!
Ich bin müde, mein geschädigtes Herz auch.
Mein Bild im Aufzugsspiegel verschwimmt.
In Afrika sah ich Dinge, schlimmer als hier,
aber ich war jünger, abgebrühter, in Abenteuerlust.
Nun bin ich alt, verbraucht und selbstmitleidig.
Wie gut, daß mein Selbstbild verschwimmt!
***
Treppen
Der Aufzug streikt,
also nehme ich die Treppe,
bis zum 19. Stock.
Der Sommer 2010 ist heiß und schwül,
und mein Herz macht schon bei der
dritten Kehre schlapp.
Ich sitze auf den Stufen und ruhe,
bis ich weiter kann. Ich bin auf
dem Weg zu Gott, Kehre um Kehre.
Gott ist eine Tür auf der steht:
Nur für Pflegepersonal!
***
Metta
Sie sind zu Freundinnen geworden;
über das Gefühl der Exklusivität
haben sie sich erhoben und den Dharma
verwircklicht. Bilder der Erleuchtung
sehen ganz normal aus!
***
Kunst
Früher konnte ich mit Haring
nix anfangen. Ich empfand seine
Bilder als zu simpel und zu trivial.
Und nun hängt auf dem Stationsflur
nahe Deines Zimmers eines seiner Bilder.
Und sofort wird mir klar, wie tief empfunden
diese Einfachheit ist.
***
Die Absurdität des Systems
Seit Tagen kommst Du nicht aus dem Bett;
Rollstuhlmangel in der Klinik.
Die Stosszeiten der Gehlosen hat der
liebe Gott ohne Dich vorausgeplant.
Ich rufe die Krankenkasse an, weil die
Rollstühle verleiht: „Ja, tun wir, aber
nicht in ihrem Fall. Dafür bezahlen wir ja
dem Krankenhaus Geld. Sie können aber
über den Sozialdienst eine Rollstuhl
bestellen!“ „Ich wollte doch nur leihen,
um Kosten zu sparen?!“ „Tut mir leid!“
Also ruf ich den Soziualdienst an, um den
Rollstuhl zu bekommen. Die Sozialarbeiterin
lacht über die Geschichte, die ich ihr erzähle:
„Das passiert so oft und die wundern sich, daß
die Kosten explodieren!“
Ich versteh langsam, wie in Deutschland
unser Gesundheitssystem funktioniert!
Wozu brauchen wir 1000 Kassen in dieser
Republik und warum funktionieren sie
kurzsichtig wie Wirtschaftsunternehmen?
Armes Deutschland, du wirst von Beamten,
Ämtern und Institutionen unflexibel
verwaltet und ausgebeutet!
Homo Ludens
Helmut meinte,
daß Spielen habe seinen
Geist aufrecht gehalten,
über alle Qualen der
Therapien hinweg.
Ich befolge seinen Rat
und kauf das Spiel,
und während wir spielen
begreife, ich wieviel
trainiert wird, was für
mich selbstverständlich ist.
So lernst Du wieder zählen,
Auge-Hand-Koordination,
Prozesshaftes Denken und
natürlich Scherzen und Ärgern.
Alles fällt Dir schwer und Du siehst
selber, was alles verloren gegangen ist.
Aber Du gibst nicht auf, auch wenn
Du immer wieder den Würfel
in den Mund stecken willst.
„Ich weiß, daß es dumm ist, aber
in mir will es das.“ Ja, unsere kindlichen
Impulse, bei einem kindlichen Spiel.
***
Glumme Bitternis
Wir spielen um Dein Leben.
Jeder Zug ist ein Atemzug.
Jede Wende ein Gedanke.
Du sagst :“Heil mich bitte!“
Ich kenne die Diagnose
und das Schweigen der
Ärzte, vielsagend leer.
Ich sage „Ja“ aus vollem
Halse, schluchzend, um
den ungläubigen Thomas
in mir zu verbergen.
Ständig scheitere ich
an Meinungen der Ärzte:
Ich will Monoklonale
Antikörper, sie sagen
die Chemo sei gescheitert,
dann ist damit auch nichts mehr
zu machen. Ich lese in den USA
haben sie große Fortschritte
mit dieser Therapie und in Tübingen
forschen sie nach patienteneigenen
Antikörpern. die endgültige Heilung
bringen. Keiner macht mir Hoffnung.
Keiner dieser Ärzte geht auf die Angehörigen
ein. Sie behandeln und lassen uns alleine!
Wir spielen weiter um Dein Leben.
***
Antjes Kloster
Du wolltest ein Kloster bauen,
ein Ort der Meditation, an dem
auch Kinder gern gesehen sind.
Jetzt ruht die Bauruine, und ich
Frage mich, was kann ich tun?
Ich bringe Dir unsere Kinder,
Du liebst Sie alle, weil Dein
Herz groß ist. Unsere Patch-
Work-Family war Dir nie
Schwer. Du hattest immer
Für alle ein gutes Wort;
Schreien war Dir verhasst.
Du freust Dich meine
Kinder zu sehen, die auch
Die Deinen sind; wir lachen.
Ja ein Ort, an dem Kinder ihre
tiefe Weisheit leben können:
Ich wünsche mir, dass Dein Traum
Wahr wird: Ein Kloster für Kinder!
***
Sommergrippe
Mich hats erwischt!
Schnupfen, Husten,Heiserkeit.
Ich kann nicht zu Dir,
um Dich nicht zu gefährden.
Ich bin unruhig wie
ein Tiger im Käfig.
Heike war gestern bei
Dir; Sie machten ein MRT.
Ich sitze wie auf roten Kohlen,
weil ich das Ergebnis nicht kenne.
Geht es zurück?
Kann es wenigsten gestoppt werden?
Sehen sie eine Chance?
Machen sie weiter?
Was vorher verhaßt war,
wird nun zur letzten Hoffnung.
***
Everybody need somebody
Letztes Wochende sind wir
Mit David und Yannic
Ins Freilichtkino Rehberge.
Dirk hatte noch eine verlorene
Wette zu begleichen:
Deutschland wurde nicht Weltmeister.
Ja, in solchen Vorhersagen
Bin ich gut.
Wir sahen Blues Brothers,
Aßen Poppkorn und tranken
Bier. Die Jungens süppelten
Eine Cola nach der anderen.
Es war der Premierestreifen,
Alt, vergilbt, zusammengeklebt:
Sprünge, Kratzer, Flecken.
Es war wie damals, als ich als
Student in München ihn
Zum ersten Mal sah.
Wir lachen und singen mit
Und dann kommt die
Stelle, wo die Boys an der
Polizei vorbei auf die
Bühne des Palace Ballroom
treten und diesen Alten Song von Solomon Burke
Singen:In the morning (Everybody)
When my souls on fire (Needs somebody)
When I need that woman of mine (Everybody)
I need you, you, you, you (Needs somebody)
I need you, you, you, you (Everybody)
I need you, you, you (Needs somebody)
I need you
Ich heule wie ein Schoßhund,
Ich heule und heule leise
In die Poppkorntüte, damit
Die Jungens nichts merken
Und der Nachtregen verdeckt
Meine unendliche Finsternis.
http://www.youtube.com/watch?v=HCTJeT2i9QU
***
Nebensächlich
Leben mit einem Lymphom,
das Dir den Geist raubt;
wie wird es weitergehen?
Mittwoch sollst Du nach Havelhöhe,
heute noch eimal Bestrahlung.
Deine Eltern wollen Lea ein neues
Zimmer kaufen und aufräumen.
Ich mache an Steuergeschichten rum.
Nebensächliches tun ist
Verlegenheitsarbeit.
***
HavelHöhe
Wir wollen Dir einen Mantel umlegen,
bevor es Nacht wird.
Hier gebarst Du Deine Tochter,
hier bereitest Du Dich vor.
Ich bin ein alter Mann,
Du bist eine Junge Frau.
Licht sind die Tage.
Es wäre eigentlich mein Weg gewesen.
Hier reden die Menschen
Miteinander,
Gespräche ohne Aufwand,
klar wie die Nacht,
die kommen wird.
„Dem Leben nicht mehr Tage
Geben, den Tagen mehr
Leben geben.“-
Ich zähle nur Fakten,
Wie ein sturer Computer,
der Qualität von Quantität
nicht trennen kann.
„Dein Reich komme,
Dein Wille geschehe“,-
ich hasse die Schöpfung
und liebe das Leben.
Wenn das hier alles keinen
Sinn machen würde, wäre
ich getröstet! Sollte es aber
einen Sinn haben, wäre es
für mich unbegreiflich
grausam: Mäntel werden im
Krieg Oft Leichentücher.
***
AltersDiskriminierung
Ich höre die Leute sagen:
Sie ist doch noch so jung!
Wir werden alles für sie tun,
sie sind doch noch so jung!
Sie sind noch so jung,
da ist noch alles drin!
Sie haben noch gute Chancen,
weil sie so jung sind.
Gerade junge Patienten
Verkraften die Therapie besser.
Wenn sie nicht so jung wäre,
hätten wir die Therapie
gar nicht erst mehr angefangen.
So jung und schon so
Sterbenskrank.
Ich als alter Knacker
Höre diese Sätze
Und mich beschleicht
Ein ungutes Gefühl,
was wohl mit mir
passierte, läge ich dort.
***
Krank am Dasein
Sie weiß nicht, was sie
Krank gemacht hat.
Sie weiß es wirklich nicht.
Sie hat nie gelernt
Zu hinterfragen, was hinter
Den Sätzen der anderen
Lauert. Sie ist der
Unbedarfteste wunderbare
Mensch den ich kenne;
Kein Argwohn, Kein
Misstrauen, nur Güte
Und Hingabe. Ich liebe
Sie dafür. Ich liebe sie
Für Eigenschaften, die
Sie Krank gemacht haben.
Antje ist Forrest Gump,
sie hat nur leider eine
absolut beschissene Pralinen-
schachtel bekommen.
***
Kalender
Schau mal, da!
Du quietscht wie
Ein Rohrspatz,
als wir nach dem
Auspacken Dein
Zimmer anschauen.
Da! Ein Kalender.
Mit Deiner „guten“
Hand zeigst Du auf
Einen altmodischen
Abreißkalender, jeder
Tag ein Blatt.
Ein Begriff von Zeit
Kommt wieder in Dein
Leben, dass so abgerissen
War von allem, was
Uns selbstverständlich ist.
Und ich bewundere
Diese Klinik für dieses
Tiefe Verständnis,
für diese Aufmerksamtkeit.
Und ich habe Angst,weil
uns die Zeit wieder hat,
vor der ich davonlaufen möchte.
***
Loch im Kopf
Du streichst über Deinen Schädel:
„Bitte paß darauf auf, dass es nicht
wieder aufgeht?!“ Du weinst bitterlich.
„Ja, mache ich!“ sage ich dir über
den Schädel streichelnd. Du hast
einen wunderbaren Kopf, ebenmäßig
wie der einer ägyptischen Prinzessin,
und aus der Harmonie der Linien
leuchtet die Knospe des Einschlages.
Du kratzt immer wieder an der Narbe,
Und ich halte Dich immer wieder
Zurück. Es muß schrecklich sein
Sich selbst zu begreifen, nachdem
Man in Stücke gehauen wurde.
Kein Erbarmen der Welt ist in der
Lage dies angemessen ausdrücken.
Keine Gnade gibt es vor dem Tod,
kein Vergessen nach seinem Auftritt.
***
Abnabelung
Eltern wollen immer nurDas Beste.
Eltern sind immer verwaist.
Eltern kämpfen bis zum Tod.
Kinder machen immer Fehler.
Kinder lassen nie los.
Kinder kämpfen nach dem Tod.
Männer kämpfen immer um ihre Frau,
weil Kinder immer Kinder bleiben
und Eltern immer Eltern,
bis das Fallbeil fällt,
und trennt, was nicht mehr
zusammengehört.
***
Rooming in(ZeitaufErden)
Hier darf ich über Nacht bei Dir bleiben.
Unsere erste Nacht seit Monaten.
Ich liege im Bett an der Tür, und wir
Plaudern.
Du bist
Nicht sehr gesprächig. Dein Lymphom
Hindert Dich manchmal daran, einen
Klaren einzelnen Gedanken heraus zu
Fischen aus dem Strom des Bewusstseins.
Also führe
Ich das Gespräch: Nächste Woche hat
Unsere Tochter ihren neunten Geburtstag;
Sie will Ohrringe. Ein Thema das früher
Total Tabu war, aber heute sagst Du einfach:
Ja sie soll
Sie haben! Ich bin erstaunt und dennoch
Weiß ich, warum Du ihr die Bitte
Nicht abschlagen kannst; Nichts ist so
Kostbar wie unsere Zeit hier auf Erden.
***
Medizin
Im Streben nach Gewissheit
Zielen wir auf vage Hoffnungen,
seltene Befürchtungen.
Trunken, von unsere Macht,
das Los zu wenden, den
Faden des Schicksals so zu
Wickeln, dass nichts an ihm
Abgeschnitten werden könnte,
tauchen wir ab in Formeln
Statistiken, Regeln und Meß-
Werken, immer getrost,
auf der Spur der Wahrheit
zu wandeln. Ach, ich bin
des Wandelns müde; gebt
mir was eines Taugenichtses
würdig: Ein paar Hiebe auf
den Hinterkopf und ein
feuchtes Lager im Winterstroh.
Aus der Scheunenlucke
Erblickte ich als Kind einen
Sommer, so groß, wie einen
Teller, gefüllt mit Gebäck
Und Kinderblicken; Ach
Könnt ich noch einmal
So voller Freude sein, wie in
diesen Kindertagen, meine Medizin
würd ich schon schlucken!
***
Streit
Wir streiten, in dieser Phase, absurd!
Es geht um Patientenverfügung und die
Zeit nach Havelhöhe. Du willst in keiner
Pflegeklinik landen,
du willst bei deiner Tochter sein,
aber nach Haus in die alte Wohnung
willst Du auch nicht.
Ich kann im Moment
keine neue Wohnung anmieten, uns
fehlt das Geld.
„Dann geh zurück zu Deinen Eltern!“
„Nein will ich auch nicht!“
Du schreist und weinst, unberuhigbar, gewaltig
wie eiin Orkan!
Ja, so fühlt es sich an zwischen
Ebbe und Flut zu wandeln, mittem im Sturm.
Ich komme mir schäbig vor,
dem nicht aus dem Weg gegangen zu sein.
***
Anthroposophie
Wir wandeln zwischen
Welten, von Übergang zu Übergang.
Ich bin nicht sanft,
ich glaube nicht,
ich stelle aber Auswirkungen fest.
In meinem Studium kotzten mich
steinersche Schriften und Kunst an:
dieser offenkundige Rassismus,
diese elitäre geheimbündlerische Gesinnung.
Steiners Goethe war nicht mein Goethe.
Aber was solls; Hier haben wir Zeit
füreinander und die Pfleger und Ärzte
sind ganz toll! Was zählt ist der Effekt.
Das was heilt und hilft hat Recht.
Nur der Grafiker in mir stört sich
wahnsinnig an diesem Schriftbild. (grins)
***
Schadenfreude
Ein Windstoß drückt mit dem
Fenster die heiße Kaffeetasse
von der Fensterbank auf meinen
Schoß. Heiß, ganz absolut heiß!!!
Ich springe auf wie Oilver Hardy,
und jaule, hüpfe, springe, dem
Schmerz zu entgehen. Ich erreiche
Das Waschbecken zur Kühlung:
Ahhhhh, Wohltat! Es läßt nach.
Was höre ich da? Von hinten
brüllend lachen, ohne Ende?
Mein ganzer Schmerz verflogen:
Ich bin ganz und gar in ihrem Lachen,
es war seit Monaten nicht mehr zuhören.
Und ein erster Schimmer von Hoffnung
taucht in mir auf. Hoffnung auf Weiterleben.
***
Long Island
Alles vorbildlich,
das Personal sehr ruhig und gelassen.
Die Farbe der Wände geben Geborgenheit.
Auf Kleinigkeiten wird sehr viel wert gelegt.
Selbst die Bettpfannen sind aus warmen, weichen
Kunststoff und nicht aus Edelstahl!
Man nimm sich Zeit für Ansprache,
die Schwestern hetzen nicht von Zimmer zu Zimmer.
Sorgfältig sind die Behandlungen.
Trost und Hingabe führen ein Stückchen neues Leben ein.
Ich komm mir hier vor
wie ein Schrapnell im Blumenmeer.
Wie ein Aussätziger unter Göttern.
Und Morgensterns Zeilen Trösten mich:
„Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben.
Machen wir uns von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.“
***
Aquarium
Ich sitze in der Küche der Station
und blicke Tee trinkend ins Aquarium;
Blitzlichter der Chemo tauchen auf:
Deine Schreie, Dein Gurgeln und Wimmern.
Ich schließ die Augen und die Bilder
rollen weiter. Ich greife nach Dir und
Dein poröser Körper zerfällt zu nichts.
Ich reisse die Augen auf und stiere
luftringend, Schweiß überströmt
weiter ins Aquarium, als wäre nichts
gewesen, als wäre alles ganz normal.
Da draußen lauert der Tod!
***
Das Fenster
Immer, wenn ich nicht weiter weiß,
mir vor Schmerz die Gedanken brechen,
schau ich hinaus, als gäbe es etwas Neues
da draußen; aber dort ist nichts, was anders
wäre als Gestern oder Morgen. Ich schaue hinaus
in den Gang eines sterbenden Augusts und trockne
das Wasser auf meinem Gesicht, aus Schweiß und Tränen.
***
UNSERE TOCHTER
Wird sie ohne Mutter aufwachsen müssen?
Wie kann ich für sie da sein,
wenn ich Dich pflege?
Sorgen der Zukunft,
weil Planung notwendig ist.
Zukunft kennen nur die,
die Problembewusstsein haben.
Die, die sorglos in den Tag
Hineinleben, wissen nicht,
dass sie von denen Leben,
die sich sorgen, Tag um Tag.
Meine Tochter ist eine Fee,
die geraden Blicks in die
Zukunft schaut, unbedarft
Und ich, ihr Vater spiele
Ihr Mut vor, den ich oft nicht
Mehr habe. Was für eine
Welt der unseligen Versicherungen.
***
Zwei halbe Schwestern
Sie streiten sich wie die Kesselflicker
Und dann spielen sie ganz ruhig
Miteinander. Sie beneiden sich und
Sind zickig zueinander. Was für Kids!!
Jetzt in letzter Zeit reden Sie viel mit
Mir wegen Antje. Sie sehen mich auf
Der Couch sitzend heulen und schmusen
Sich an. Es ändert sich was bei den
Beiden. Es ist grausam aber ersichtlich,
dass Leid zu respektvollen Umgang
führen kann, für jeden in uns.
***
Leid teilen (Freunde)
Leid teilen, wie soll das gehen?
Man redet und redet und keiner
Versteht. Menschen, die wirklich
Leid teilen, haben es meist erfahren
Am eigenen Leib, der Innerlichkeit.
Schwer Kranke denken nicht
Vernünftig, Sie sind emotional.
Erwägungen der Versorgung
Deuten sie falsch. Die Angst vor
Der Endgültigkeit, der Ohmacht
Treibt sie ins Hamsterrad.
Wir sitzen im Garten und Erwägen
Diesen oder jenen Weg. Wir essen,
trinken, plaudern, witzeln, philosophieren
und erwägen wieder. Freunde gehen
auch Umwege mit. Umwege zu Dir.
***
Söhne
Wir haben so viele Söhne verloren,
auf den Feldern der Ehre,
den Anhöhen der Eroberungen.
Ich zähle in meinem Leben
Die Leichen,
die Sterbenden,
die Verlorenen
und schaue meine Söhne an.
Diese weichlichen Kindergesichter,
die allmählich
sich verhärten
für einen Kampf
um Ideale, die niemals meine sind.
Unsere Kinder sterben,
wenn wir die Erwachsenen
ziehen lassen, auf die Felder,
die Anhöhen, einer blinden
Pflicht gehorchend,
einer geglaubten Moral,
schon jetzt, wo sie noch
spielen von einer
Generation zur nächsten.
Trauer umspannt meine
Hand, die meine Söhne
Streichelt: Sie zittert
Bei jedem Abschied.
***
Findet Nemo
Wir schauen Deinen Lieblingsfilm.
Deine Therapeutin sagt, bitte nichts
problematisches, nichts über Tod.
Ich hab den Kinderfilm genommen,
den Du so liebst und wo Du herzlich
lachen kannst: Findet Nemo!
Aber als ich ihn sehe, muß ich weinen;
Ein traumatisierter Clownfischvater,
der lernen muß seinen Sohn loszulassen.
Die ganze Geschichte ist für mich
zum Heulen, aber Du lachst, wie früher immer.
Und da ist die Figur Dori,
ein DoktorFisch, der unter Gedächtnisverlust
leidet und den Vater lehrt blind zu vertrauen:
Du grinst mich lausbübisch
an und sagst: Ich bin Dori!
Ich breche in Tränen aus!
***
Kalachakra
Wir verwehen in so unendlichen
Zeiträumen zu neuen Anhäufungen,
die wiederum verwehen, Staub zu Staub.
Es besteht kein Grund zu hoffen,
dass wir verschont würden
vom Malmwerk der Äonen.
Unser kleines Glück
hüpft von Pause zu Pause,
bis die Walzen es erfassen.
Warum sträubt Ihr Euch so?
Unsere Wachheit ist nur
Genusssucht nach Freuden,
die wir nicht einmachen können.
Wir überdauern nichts,
doch es überdauert alles.
***
Wir üben
Wir üben das Leben,
jeden Tag, ein wenig mehr.
Wir üben darüber hinweg zukommen,
den Verlust von Fähigkeiten.
Wir üben Koordination, wir üben
prozesshaftes Denken.
Wir üben die weinende Erkenntnis
und die lachende Frustration.
Wir üben ein Stück Normalität.
***
Yogacara
Was sehen wir nicht?
Das Wandel nicht Vernichtung bedeutet?
Das alles, was existiert, nicht verloren geht?
Etwas sehen wir nicht!
Ich sah Dich,
wie Du vernichtest wurdest und
gewandelt wieder auftauchtest.
Der Wandel tut Dir weh,
verletzt und behindert leidest
du an deiner Existenz und wünscht
Dir den Tod. Dunkle Gedanken,
die ich nicht teilen kann, aus Liebe.
Ich verweigere mich. Ich will
Dich so, wie Du bist. Denn ohne
Dich sein heißt, etwas nicht zu sehen!
Den Schein der Welt.
***
Spaziergang an der Havel!
Wir rollen los,
Über Stock und Stein,
hinunter zur Havel,
wo im bunten Wind
lustig die Sonnenfahnen
flattern und silbrige Segel
schlagen; Gesang
der Kindheit schwappt
mit Wellen ans
Land, vor deinen Stuhl.
Alles was ich jetzt
Bin und je sein werde,
Vergeht in diesem
Augenblick, als ich in
Weinende Augen sehe,
meiner vergehenden Liebe,
die ich retten will.
***
Neuer Weg
Wir müssen einen neuen Weg
Gehen, weil Heilung aus-
geschlossen wurde; Zeit, die
Uns bleibt, so intensiv nutzen
Wie es geht.
Ich bin kein Meister im
Zeitnutzen, meine Kunst
Ist die des Treibenlassens.
Ich hoffe und hoffe,
aber ich weiß, es kommt anders.
***
Der Tod nebenan
An diesem Morgen
stirbt ein Muslime nebenan.
Viele Verwandte stehen und sitzen
wehklagend vor der Zimmertür.
„Was ist das?“, Du bekommst Angst.
Da kommt die Schwester rein
und klärt uns auf“ Die Trauern anders als wir!“
Als Sie geht, fängst Du an zu weinen.
Ich weine mit und spüre, daß ich auch
am liebsten Schreien würde, wie die Frauen
da draussen. Was für eine Spannung des Omens!
Als ich rausgehe zur Küche, um Dir Tee
zu machen, sehe ich zwei Frauen wild
klagend auf die Schenkel eines Mannes
klopfen und wie sie unverständliche
lautmalerische Gesänge von sich geben.
Der Mann bricht in Tränen aus.
Ich verstehe, auch wenn ich nicht verstehe:
Totengesänge, die Härte und Beherrschung
vertreiben. Eine Opfergeste der Hingabe.
***
Innenhof
Sich weit wegdenken
Geht nicht, um uns das Gelände
Ist Spiegel seiner Insassen.
Ich mag nicht reden,
dir Mut zu sprechen,
von Morgen reden,
von einer Zukunft plaudern,
die nur grausam sein wird.
Am ZNS-Lymphom
Zu krepieren ist grausam,
die Wartezeit zu verlängern
eine Chance?
Hass in mir, -Zynismus geboren
Aus Angst und Wut.
***
Das Bad
Das erste Bad seit Monaten,
du freust Dich diebisch,
als wir Dich mit dem Lifter
über den Wannenrand heben.
Sofort entspannst Du im
warmen Wasser und dein
Gesicht bekommt etwas
überirdisch Gütiges im Ausdruck.
Ich wasche dich und Schaukel
Dich im Liftertuch im Wasser
hin und her. Purer Genuss
für jemand, der dem Ertrinken
kurzeitig entkommen ist.
Ab jetzt jeden Samstag,
wenn ich das Wochenende
bei Dir verbringe.
***
Der Burger
„Ich will einen Burger!“
-„Watt?“- „Ja, einen Chilliburger!“
Ich bin erstaunt. „Wo denn, wo gibt
Es den Chilliburger!“
Antjes Erinnerung kehrt wieder.
Sie sagt mir wo, und ich besorg
Ihn ihr. „Ja, das ist der Richtige!“
Sie isst mit Heißhunger,
ja sie stopft richtig und noch
nie war ich beim Essen so glücklich,
wie nach diesem Burger!
Ich wurde vom Zusehen satt, ich
kapierte aufeinmal, wie Jesus
es schaffte, mit fünf Broten und drei
Fischen 5000 satt zu kriegen!
„Rülps!“
***
Dein Arm
Er verkümmert,
Wie ein Halm in
Sommerhitze.
Schmal und dürr,
als könnte man
ihn knicken.
Ich nehme
Mein altes
Tensgerät
Und jage
Strom pulsierend
Durch die Muskulatur.
Ich hoffe etwas
Aufbauen zu können:
Wasser in der verdörrenden
Hitze des Krebsbrandes.
***
Der Knochensack
Ein Blogleser,
der sich Knochensack nennt,
schickt Dir einen
Pappguckkasten von
Schloß Schwanstein.
Er habe gehört, dass
„Drachen“ Luftschlösser
bauen und sie es ermutigt,
weiter zu machen.
Es steht auf Deinem
Nachttisch und ist
Lustig anzuschauen,-
eine kleine Welt
ohne Horizont und
dahinter Dein
Kortisongesicht.
***
Abschiedsraum
Hier gehen die Toten ein und aus.
Manchmal verweilen sie drei Tage,
Manchmal nur wenige Stunden hier.
Ich will nicht in diesen Raum,
doch es zieht mich zu ihm hin.
Ich rieche den Geruch des Todes,
den Sie nicht mehr rauskriegen.
Ich sehen die Bahre und die Kerzenhalter,
Aus angelaufenem Silber. Ein kühler
Raum in jeder Hinsicht, schnörkellos,
hauptsächlich lila Wandfarbe. Ich sehe
uns hier und laufe mit Angstschweiß
wieder raus, auf den Flur: Nur Luft!
Dein Schicksal, mein Schicksal,
wir kommen ihm nicht aus,
allein die Zeit, die uns bemessen
ist, lässt uns weinen oder flehen.
Jacques Brel – Voir un ami pleurer
***
Gänge
Wieviele Gänge sind wir schon
Gemeinsam hinunter gegangen!
Nach Havelhöhe geht es zurück
In die Charite; weiter Bestrahlung?
Ich gehe aus meine Selbständigkeit,
um Dich pflegen zu können!
Auf allen Wegen Hindernisse,
Anforderungen, Regeln.
Sie bringen einem in der
Schule allen möglichen Mist bei,
nur nicht wie man hilfreich
zusammen Gänge hinuntergeht.
***
Alltag
Alles eintönig,
jeden Tag derselbe Ablauf.
Wenn man die Dinge
Auf den Kopf stellt,
ihnen eine neue
Perspektive verleiht,
wartet am Ende dennoch
der Tod.
***
Bismarcks Großmutter
Hier lebte Bismarcks
Großmutter und schaute
Auf Havel und Streuobstwiesen.
Ein Kulturcafe besetzt heute
Das renovierbedürftige Anwesen;
Man spürt noch die alte Junkerherrlichkeit.
Von oben wird Preußen regiert
Und von unten gebügelt, geschmiert.
Wir sitzen auf der roten Bank
Vor dem Palais, trinken Kaffee
Und preisen die Vorzüge des
Neuen Rollstuhls.
***
Cafe
Wir sind zum ersten
Mal wieder einen Kaffee
Trinken;
Wir essen Kuchen,
wir essen Eis.
Wir schlemmen und
witzeln über Krümeleien.
Plötzlich tauchst Du ab
In eine unendliche Trauer.
Ein Schauer rast meinem
Rücken runter: Mein Gott,
es wächst wieder!!!!!
Dann Dein Lachen, wie erlöst:
Ich hab eingepullert!
Ach so, Schatz, wenn’s weiter
Nichts ist! Die Windel ist
Saugstark! Wir lachen und scherzen.
***
Perspektive
Ich nehme mir vor,
seit Du krank geworden
bist, jeden Tag die Welt
mindestens einmal aus
einer ungewöhnlichen
Position anzuschauen.
Heute auf dem Besucherklo
Legte ich mich in der Kabine
Auf den Kachelboden
Und lugte unter die Türen
Und Trennwände durch.
Ich kam mir vor wie der
Verzweifelte Mann in
Jack Arnolds The Incredible Shrinking Man.
Als ich mich aufrichte, krachts in
Meinem Rücken und ich spüre
Die Verzweiflung meines Altwerdens:
Ich werde Dich pflegen, bis mich das
Universum wieder verschluckt.
Jack Arnold – The Incredible Shrinking Man
***
Bilder
Die Bilder von Onyx
Und Lea nah an Deinem
Bett, greifbar, begreifbar.
Und ich, vor Deinem
Bett, unbegreiflich überfordert,
von dem, was auf mich
zukommt. Mit dem Tod
rechnen kann jeder; dieser
überhebliche Gestus ist
Heinz Ketch Up.
Aber mit dem zurechtkommen,
Was alltäglich auf uns wartet,
ist eine Anstrengung, ist
Problembewusstsein.
Mich kotzen zur Zeit Buddhisten an,
obwohl ich selber einer bin.
Ihr Gefasel von Alter, Krankheit, Tod,
von Haß, Gier und Verblendung.
Was jetzt ist, zählt und jetzt zählt
Dein Leben zu erhalten, zu pflegen,
zu schützen, über allen Schmerz
hinweg: Ich habe Angst!
***
Das vollgestellte Bad
Heute ist wieder Badetag.
Aber das Bad wir oft
Zum Abstellraum degradiert,
aus Platzmangel.
Wir manövrieren mit dem
Lifter vorsichtig. Keine Chance.
Also räumen wir das Bad leer;
Klostühle, Badestühle, Rollständer,
alles raus.
Als wir fertig sind, sagt der
Pfleger: Wir müssen anbauen.
Und ich sage: Nein, Ihr müsst
Umdenken.
***
Auf der Fensterbank
Es sammeln sich die Mitbringsel
Deiner Besucher
Auf der Fensterbank.
Blumen und Bonbons
Reihen sich ein
Zwischen Urinalen
Und Einlagen.
Amüsant zähle
Ich die Fettnäpfchen
Deines und Meines Sinnes.
***
Zeitreisen
Steh nicht auf,
Du kannst Dich
nicht mehr
Verspäten.
Unter dem Dampfdruck
des Weltallkessels
bricht alles zusammen;
nur Wolken steigen auf.
Werde zur Wolke
und schwebe auf
zum Himmel
und stimme ein Lied
an, wie Spatzen
es pfeifen.
Steh nicht auf,
es gibt nichts zu tun.
Schon morgen
liegt ein anderer
auf deinem Platz
und wartet auf ein Zeichen.
***
Sonntagskonzert
Die Klinik
Hat ein Konzert organisiert:
Es gibt Karneval der Tiere.
Zwei hervorragende
Pianisten spielen auf dem
Alten Bechstein vierhändig.
Dazu liest der Mann
Loriots Libretto zu Saint-Saëns
Fantasien.
Am Ende des Konzerts sagst
Du: Danke, dass Du mich
Mitgenommen hast.
Ich gucke blöd und gebe
Zurück: Ich habe Dir zu Danken,
ich bin nur zu Besuch.
Und erschreckend klar wird mir ,
dass ich dafür sorgen muß,
dass Du viel Theater und Musik
in Natura erleben kannst;
Ich war versackt, in sorgender
Pflege und vergaß Deinen
„schönen Geist“.
***
Nach(t)tisch
Wenn jemand stirbt,
stellen sie kleine Tische
neben der Zimmertür auf;
Drapiert mit violetter
Decke, Windlicht, Muscheln,
Steine, Trockenblumen.
Heute, an Deinem Abschiedstag
Aus dieser Klinik,
Stehe ich mitten im Flur,
Noch halb verschlafen
Und schaue ihn hinunter.
In der Nacht haben sie drei
Tische hingestellt:
Eine Totenallee;
Ich bin froh, wenn wir bald
von hier weg sind.
Ich feiere lieber Unfertiges,
als den Abspann, selbst wenn
Du am Ende bist.
http://www.youtube.com/watch?v=tPmMQfRmJH8
***
Charite
Zurück nach
Charite Mitte.
Im Krankenwagen
Durch den Tiergarten,
an den T34 vorbei.
Dies wird unser „Kalter Krieg“,
wir Mauerkinder!
Was wir noch nicht wissen,
sie werden Dich scannen
und schnell entlassen.
Sie werden Dich nicht
Weiterbehandeln.
Wir kennen Ihre Optionen nicht.
12 Monate, 24,36?
Sie lassen uns zurück
Im Glauben, Du würdest
In den kommenden drei Monaten noch
Leben, wenn die nächste
Untersuchung
Ansteht.
***
Musiktherapie
Du liebst es,
Wenn der Therapeut
Mit seiner Leier kommt.
Du hast selber immer
Gerne gesungen.
Nun ist Deine Stimme
Schwach und leise.
Während er spielt,
Leuchten Deine Lippen,
wie Knospen
im Morgentau.
***
Ohne Klarheit
Man kann blind
und trüb leben.
Man kann nicht
jeden Tage
weinen um
verlorenes Glück.
Neues Glück
braucht Platz
im Sumpf.
http://www.youtube.com/watch?v=VS4fyxuFZvA
***
Nichts
Beim Nichts sollte man es belassen,
Nichts wird, Nichts vergeht,
Nichts bleibt.
Nichts ist immer wieder
nicht enttäuschend.
http://www.youtube.com/watch?v=ETAacNqtE00
***
Zerschossen
Pflegestufe?
Lachhaft.
Du warst die ganze
Zeit im Krankenhaus!
Die Krankenkassen
Kriegen es nicht ihn,
schwerstkranke
Menschen, bevor sie nach
Hause kommen,
Zu begutachten.
Alles zieht sich hin,
seit Monaten.
Und jetzt müssen
Wir wieder warten,
bis die Gutachter kommen.
Alle machen uns verrückt,
dass Du bloß ne hohe
Pflegestufe kriegst.
Als ob Du ein Simulant seist,
weidwund geschossen,
von Chemikalien und Strahlen,
zerfressen vom Lymphom.
Als die Gutachterin
Kommt, durchaus
Eine sachliche Frau,
krieg ich den ersten
dicken Hals:
Einen Treppensteiger
Wirst du wahrscheinlich
Nicht kriegen, weil wir
Dich mobilisieren sollen.
Der Umbau des Badezimmers
Wird nicht finanziert, weil Deine
Prognose zu schlecht ist.
Ja wie denn nun,
in welche Zwickmühle
wollen sie uns stecken?
Du kauerst ängstlich
Zitternd im Bett,
wie meine Erinnerungen
An die zerschossen
Kadaver von Paschendale.
http://www.youtube.com/watch?v=9gtJkeXAMt0
http://www.youtube.com/watch?v=TGVmOS9yM6M&feature=related
***
Mönche und Bowling
Sich in die Tasche zu lügen,
ist man gewöhnt,
nur manchmal reicht die
Größe der Tasche nicht aus.
Und der gute Wille, brav
die Regeln zu befolgen,
ist unser tägliches Bemühen;
Aber wir beugen uns zu gerne
Aus Gewohnheit.
Als wir auf der Bowlingbahn
Ein paar Würfe machen,
schaust Du uns begeistert zu.
Jonathan scherz viel mit Dir.
Tut so, als verwechsele er Deinen
Kopf mit einer Kugel.
Trocken und derb sind unsere
Scherze. Feinfühligkeit
Nach diesem Exzess des
Sterbens ist etwa so sinnig
Wie Nachtlampen am Tage.
Unheilsam und Heilsam;
Buddha hatte keine Lust
Die Welt zu erklären,
er wollte nur Aussteigen:
Aber alles ohne Erklärung
Macht mich skeptisch: Gutter!
***
Zu Hause
Der erste Tag,
nur Stress:
Sie haben Dich
Einfach so entlassen,
ohne vernünftige
Pflegeüberleitung.
Jeder sagte,
wir helfen ihnen
ein Nest zu bauen.
Pustekuchen.
Außer am Bett,
das sie am Tag vorher
brachten, fehlt es an allem.
Die Leute von Elysion
Greifen uns unter die Arme.
Wenigstens ist die
Ambulante Palliativpflege
Eine echte Hilfe.
Sie leihen uns dies und
Das und bringen uns
Über die ersten Tage.
***
***
Garuda und das InternetPack
Ich bin in einige Foren rein,
um Deine Geschichte zu erzählen
und Deinen Blog zu verlinken.
In einem, welches Buddhaland
Heißt, lernte ich einige Nicks kennen.
Ich schaute dem Treiben zu,
wie sie Dharmahalter verleumden,
die Lehre verdrehen. Alles anonym.
Einige sprachen mich persönlich
An, und ich skypte mit Ihnen,
Im Vertrauen darauf, daß wenigstens
Sie vernünftig seien.
Allmählich entpuppten sich die Macken
Soweit, daß man mir Viren und Trojaner
Schickte. Was für ein Dreckspack ungläubiger
Klugscheisser, die sich in der Anonymität der
Internetwelt ihre Profilneurosen mit
Wikiwissen aufpolieren.
Traurig, diese blutleeren Tastaturhengste und –stuten,
geifernd nach einem Ersatz
an Leben, daß sie nicht gelebt haben und niemals
Leben werden. Ein Heer von Süchtigen,
die Buddhisten spielen wollen.
Wahn
Schmerzen sind keine Einbildung;
kennst Du
nicht die Einbildung der Schmerzfreiheit?
Da lachen die Tauben
und weinen die Krähen,
wenn die Habichte
keine Nachwuchs großziehen!
Dieses Jahr
bin ich frei,
kein Schmerz, kein Wohl
http://www.youtube.com/watch?v=1HK0qCnpJqA
***
Schülerin
Ich übte, als eine Freundin
Dich vorbeibrachte.
Es entsponn sich eine geahnte
Geschichte, an der ich weiterübe.
***
Wüste
In meinen einsamsten Stunden,
ausgeliefert dem Sand und der Sonne,
der Hitze und dem Frost,
ohne ausreichend Wasser,
habe ich meine eigene Pisse getrunken
und auf Entsatz ausgeharrt. Sieben
ganze Tage und diese Tage waren
tiefe Tage, weil alles auf
einmal klar und einzigartig,
so grausam und hoffnungslos es auch war;
der azurblaue Horizont prallte auf den Ocker
der unendlich weiten Dünung;
Es ist leicht zu sterben, wenn man
Nichts zurückläßt im Sandmeer.
***
(LEY LEY )
***
Halloween
Die Kinder sind aufgedreht.
Till hat sich
Ein Kostüm gekauft.
Lea schminkt sich.
Um die Häuser ziehen,
Leute erschrecken,
Süssigkeiten erpressen,
und du amüsierst Dich.
Schaust aus dem Bett
Unserem Treiben zu.
Und sie wollen Dich
Schocken und Du
Spielst brav mit.
Nur ich kann nicht
Mitlachen, die Bilder
Der Therapie schlagen
An meiner Gemütstür; es ist
Kalt zu Allerseelen
In meiner Gehirnstube.
http://www.youtube.com/watch?v=dL2aTTw-7ng&feature=related
***
Das Grauen
Ich habe das Grauen gesehen,
in Afrika, in Südamerika, im Pazifik,
in Asien, an der Spitze meiner Schuhkappen,
beim Absprung über Berge, Wipfel, Granattrichtern.
Das Grauen ist ein abgemagertes Kinderlächeln
mit schneeweissen Zähnen. Es läuft verschämt
dir nach fragt mal nach Kaugummis,
mal nach Zigs und manchmal will
es nur ein Stück mitgenommen werden,
vielleicht hinter die nächste Demarkationslinie?
Es bettelt und fleht, es zittert vor
Kälte, Angst, Hunger; es wird geprügelt,
gedemütigt oder kurzerhand erdrosselt.
Soviele Tränen, soviele Wunden auf staubigem
Weg; aber es lächelt auch immer wieder mit großen
fragenden Blicken. Augen, die soviel
gesehen haben und immer noch freundlich hoffen.
Das Grauen sind Erinnerungen,
Erinnerungen an zerborstende Schädel, verdrehte
Gelenke, zermatschte Gesichter. Erinnerungen
an Explosionen, Schußwechsel und erröcheltes Blut:
Rot, Schwarz, Weiß, die Farben meiner Seelenbilder.
Manchmal rieche und schmecke ich Benzin und dann
verbrennende Reifen und Fleisch; der Gestank von tausend
Jahren Verwesung steigt in mir hoch und dann möchte ich
die letzte, die allerletzte Kugel abfeuern und für immer aus.
Das wahre Grauen hört niemals auf, solange ich lebe.
http://www.youtube.com/watch?v=ZSDwxaadSJ0
http://www.youtube.com/watch?v=qoIUN0T4Rzw
***
Parvis war hier
Parvis war hier, er
brachte seine Anteilnahme
und seine Betroffenheit mit.
Er setzte alles in Bewegung,
um einen Arzt für Dich zu finden.
Er wird mit Dir einen neuen Film
machen, wenn er aus Indien zurück ist.
Parvis will, daß Du lebst.
Er wird seine Eltern im Iran besuchen.
Parvis war hier!
Laß uns tanzen.
http://www.youtube.com/watch?v=VGQqkvPPWkQ
http://www.youtube.com/watch?v=-P9m-3mrflo&feature=related
***
Wir Kämpfen
Den Treppensteiger haben wir erobert,
bei Haushaltshilfe hat man uns zurückgeschlagen,
weil Du unheilbar und für unabsehbare Zeit krank bist.
Du hast eine neunjährige Tochter, aber das schert die
Schreibtischtäter nicht. Ich habe unsere Rechtsanwältin beauftragt.
Den Toilettenstuhl haben wir bekommen,
nach 70 Tagen Wartezeit, auch den Beistelltisch,
nach 54 Tagen. Jetzt kämpfen wir für den Umbau des Bades,
für einen Gehilfetrainer und eine Reha!
Die Dauereinlagen fürs Bett fehlen immer noch,
aber wir bekommen Windeln!
Dein Vater kämpft für Dich, wie ein Löwe. Er sieht endlich,
daß wir es ehrlich meinen und Dich retten wollen.
Wir haben eine gute Homecare-Ärztin,
die uns bei allem unterstützt, manchmal
kopfschüttelnd, weil sie diese Bürokratie
auch nicht mehr versteht. Wir haben eine
gute Palliativstation, die flexibel ist und
alles fördert, was irgend geht, und wir haben
eine exzellente Rechtsanwältin. Was uns fehlt
ist Glück: das Unglück war ja schon, oder?
Wir kämpfen weiter.
http://www.youtube.com/watch?v=ttlp1wgM7go&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=bSZIq1Fr–8
http://www.youtube.com/watch?v=DKbPUzhWeeI&feature=related
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Alles, was zählt, ist überstehen!
© 2010 W.Friedrich/MentalWorks
Gewidmet den Patienten, Pflegern und Ärzten der Neurologischen Intensivstation 106i und den Therapeuten der Onkologie und Strahlenmedizin
Als Hiob alles verloren hatte, alles, da kamen einige
Freunde zu ihm, um ihn zu trösten, einer erzählte als Trost von einer Vision, die er gehabt hatte und sagte:
und als der Geist an mir vorüber ging, da standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe.
Thomas
Der alte Mann und die Seesterne
Im sonnigen Kalifornien lebte ein alter, weiser Mann, welcher jeden Morgen zum Sonnenaufgang am Strand spazieren ging. Man sah, wie er sich fortwährend hinunter beugte, etwas aufhob und ins zurückweichende Meer warf.
Dieses beobachtete eines Tages ein junger Mann aus weiter Ferne, der auch schon früh auf den Beinen war. Als dieser sich noch mehr näherte, sah er, dass der alte Mann Seesterne aufhob, die an den Strand gespült worden waren, und – einen nach dem anderen – warf er sie ins Meer zurück.
Der junge Mann war verblüfft. Er näherte sich dem alten Mann und sagte: “Guten Morgen, alter Mann. Ich habe mich gefragt, was sie da tun.“
„Ich werfe diese Seesterne zurück ins Meer. Sehen sie, es wird gerade Ebbe und all diese Seesterne sind ans Ufer gespült worden. Wenn ich sie nicht ins Meer zurück werfe, wird die heiße Sonne sie austrocknen und sie werden sterben.“„Ich verstehe“, erwiderte der junge Mann. „Aber es muss an diesem Strand tausende von Seesternen geben. Sie können unmöglich alle zurück ins Meer werfen. Es gibt einfach zu viele. Sehen sie nicht, dass sie unmöglich etwas ändern können?“
Der alte Mann lächelte, beugte sich wieder hinunter und hob einen weiteren Seestern auf. Auch diesen warf er zurück ins Meer. Dann sah er den jungen Mann an und erwiderte: “Für diesen einen macht es einen Unterschied.“
(Quelle: Jack Canfield u. Mark V. Hansen)
nur noch palliativ:
Johannes Bobrowski
Wiesenfluß
Kalt ist der Sommer, Licht
fährt mit Segeln, der Fisch
mit den Flossen
steht auf der Schattenspur.
Ich bin gewachsen zu hören
die Quelle im Kalmusherzen,
weiß und rötlich, die Dehnung,
ich komm, und der Wasserläufer
unterbricht sich, der Fisch
stürzt mit dem eigenen Glanz
über die Tiefe.
Hör, hier bin ich, ich geh
umher
in der Kälte des Sommers.
Strahlengewitter 2010 (W.Friedrich)
Die Salven des Lichts
Durchschlagen Deinen Schädel ungesehen.
In diesem kühlen Glass
Wassers ist nichts, was Schatten spendet.
Die Metaphern des Sees
Bleichen aus, wie die Fotos aus unseren
Besten Tagen. Vergilbtes Gelächter
Auf sich verlierenden Spuren:
Muster der Erinnerung treiben fort,
Wie die Segel des Sundes: Schlechte
Zeiten für Lyrik; Ausflüchte warmen
Windes küssen ungefragt
Deine Wangen.
Hier ist nichts mehr tief,
Nichts ist mehr seicht.
In der Hitze der Nacht
Sehe ich dich in meinen
Schlaflosen Träumen vergehen.
Blaues Lilienherz, ich reiße Dich raus!
Gewitter, regenlos,
von Schlaf zur Schlaflosigkeit,
erhellen Finsternis: Wo
bist Du, Liebe, die alles heilte?
Freigestellte Märchen!
Lieber Wolfgang –
habe Dein Gedicht-Echo auf das Bobrowski-Gedicht ‚Wiesenfluß‘ gelesen u.
verstehe, daß lyrische Metaphorik, die nicht konkret auf Antjes Zustand
sich bezieht, Dir in Deiner Verzweiflung fast wie Hohn vorkommen muß.
Es war so, daß ich beim Lesen einer Lyrik-Anthologie auf jenes Gedicht
stieß u. bei den Zeilen ‚ich geh/umher/in der Kälte des Sommers‘ spontan
an Dich dachte; momentlang drängte sich mir die Vorstellung auf, daß für
Dich dieser Sommer zu einer seelisch ‚kalten‘, eisigen Jahreszeit
geworden ist. Darauf schickte ich Dir das Gedicht, nicht um Antjes
Schicksal zu kommentieren, sondern um, indirekt, mein Mitgefühl für Dich
u. Dein Leiden an diesem Schicksal, das ja auch Deins ist, auszudrücken.
Zur Akzeptanz des Gedichts, auf dessen ‚Hör, hier bin ich‘ niemand
antwortet, das mithin wie viele moderne Gedichte eines der totalen
Einsamkeit ist (einer inneren Einsamkeit, der wir meiner Ansicht nach
letztlich nicht zu entgehen vermögen), hier ein Kommentar (von Edgar
Hederer, aus: ‚Das deutsche Gedicht‘): „Der Dichter“ (gemeint ist der
heutige Dichter) „ist wie in einem toten Winkel: das Dasein legt sich in
immer ungeheuerlicherem Geschehen selbst aus. Wie soll er es aufleisten,
wenn ihm das Übergewicht in seiner Seele fehlt? Die Nacht wird nicht
heller, indem er das Licht des Wortes auslöscht und die Leier zerbricht.
Der Abgrund wird nicht entsiegelt, indem er in ihn hineingleitet; das
Zerstückte wird nicht ganz, indem er sich selbst zerstückt. Nur Gebilde,
nur Gesang steht gegen das Ungeheuerliche, nur lichtes Wort besiegt das
Dunkel.“
Soviel zum Bankrott jeglicher Lyrik in heutiger Zeit. Wenn dennoch Verse
entstehen, wie jene des schwer kriegsverletzten, 1965 im Alter von 48
Jahren an einem Blinddarmdurchbruch krepierten Johannes Bobrowski, so
ist dieser Bankrott, dieses Verurteiltsein zum Schweigen angesichts
eines ungeheuerlich gewordenen Daseins stets mitzudenken.
Liebe Grüße, u. mit trotzigstem Dennoch weiter auf Antjes
Wiederherstellung hoffend,
Dein Helmut
Lieber Helmut,
ich finde das Gedicht von Bobrowski nicht als Hohn.
Es trifft die Lage doch recht genau.
Nun stamme ich aber aus einer anderen Schule;
ich bin ein Kind der brechtschen Schule aber auch des
Dadaismus.
Ich bin beglückt über dieses wnderschöne Gedicht, das sich mit dem Kalmusherz
auskennt.
Aber was ist das Kalmusherz? Es ist eine alte Metapher. die ihren Ursprung
in der indschen und arabischen Märchenwelt hat.
Der Kalmus ist eine Sumpfpflanze. Kalmus stammt von dem Wort kalmaos (gr) ab und bedeutet
Rohr, aber auch Pfeil. Anatomisch ist also das Kalmusherz hohl…..es ist eben eine Simse.
Die Wurzel (das eigentliche Herz) aber ist so aromatisch, daß sie zur Süsigkeitenherstellung und als Medizin verwendet wurde, daher auch die Worstammableitung Karamellle.
In 1000 und eine Nacht rettet sich Sndbad vor Verfolgern, indem er ein Kalmusrohr schneidet und als Schnorchel unter Wasser gebraucht.
Buddha hat Kalmus genommen als er vergiftet wurde, trank Wasser und ward gesund!
Nostradamus mischte als Pestarzt aus Kalmus eine Medizin mit nicht unbeachtlichem Erfolg.
Kalmus ist eine Metapher für Heilung und Rettung.
Bobrowskis Gedicht ist eine Art „Wassermusik“, die wenn man die Metaphern räumlich auflöst, von einem Taucher gesungen wird. Denn nur unter Wasser
hat man diese Sicht auf diese Dinge und so das Herz des Kalmus.
Ich antwortete in meinem Gedicht mit Brechts berühmten Gedicht „schlechte Zeiten für Lyik“, in dem er gegen Hitler lyrisch schreibt, obwohl er anderes schreiben müßte.
Auch er bedient sich in diesem Sommergedicht der Wassermetaphorik. Ich glaube Bobrowskis Gedicht ist eine metaphorische Anlehnung daran.
So wie sich Brecht in seinem Gedicht durch sein Gedicht widerspricht, widerspreche ich mich auch. Wir Lyriker leiden lyrisch, denn es ist der ureigenlichste Ausdruck unserer
Gefühlswelt.
Meine Gefühlswelt bricht die Metaphorik auf; bei mir ist selbst die Kanüle zur Metapher geworden. Das versuche ich mit meinen Gedicht auszudrücken. Es ist also keine Ablehnung, sondern eine Annahme! Nur meine Welt fühlt sich gerade nicht kalt an, sondern trocken, heiß und leer….ich marschiere gerade durch meine Wüste „Wehe dem, der Wüsten in sich birgt“!
Es ist gut zu wissen, daß es so einen trotzigen Dickkopf gibt, wie Dich, der, wenn ich nicht mehr hoffen kann, für mich weiter hofft.
Sei umarmt
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
habe gerade Deinen Blog gelesen und mitgeweint, obwohl wir uns kaum kennen. Ich wünsche Euch gute Ärzte, liebe Menschen um Euch, mit viel Unterstützung und Wärme, und den Rest Glück zum Weiterleben Deiner Liebsten.
Ganz liebe Grüße
Tatjana
Lieber Wolfgang
dein Blog trifft mich unerwartet. Was soll man angesichts eines solchen
Schicksalsschlages sagen, ohne dabei leere Floskeln zu gebrauchen ?
Ich fühle mit und es treibt mir die Tränen in die Augen, wenn es irgendetwas
gäbe das ich tun könnte um wirklich zu helfen, ich würde es tun. Ich fühle
aber auch Machtlosigkeit in einer solchen Situation, in der man dem medizinischen
Fachwissen ( oder auch Unwissen ) ausgeliefert ist. Du wirst schon alles
im richtigen Ermessen getan haben was dir möglich war um Antje zu helfen,
denn du liebst sie und das spürt man in deinen Worten sehr stark.
Die Hoffnung auf Heilung nicht aufgeben, das ist das einzige woran man sich
jetzt halten kann, es braucht viel Kraft und Glauben, auch wenn unglaublich
viel Schmerz einem beinahe die Sinne raubt.
Liebe ist stärker als der Tod, auch eine Floskel, aber ich glaube im tiefsten
Inneren sind wir alle dadurch verbunden.
Auch wenn du vielleicht manchmal glaubst du wärest allein dieser schweren Situation
ausgeliefert – du bist es nicht.
Ich hoffe ich kann dir mit meinen Worten Kraft und Hoffnung mit auf den Weg
geben und wenn du möchtest können wir uns gerne bald wiedersehen.
Dirk
Ich kontte meine Tränen nicht zurückhalten..
Ich wünsche dir Kraft mit dieser Situation weise umzugehen. Du bist nicht allein!
Hi Wolfgang,
es ist sehr gut, dass Du versuchst Deine Gefuehle ueber den Blog zu verarbeiten, mit diesem Blog hilfst Du auch anderen Angehoerigen, die vielleicht durch die gleichen „Probleme“ gehen. Es ist nicht leicht einen lieben Menschen gehen lassen zu muessen, ich muss die Erfahrung derzeit leider auch selbst machen. Geniesse die Zeit noch mit ihr soweit wie Du es kannst.
Lieber Wolfgang –
die auf dem Foto in Deinem Blog beim Mensch ärgere dich nicht-
Spielen nach dem Würfel greifende Antje wirkt wunderbar „normal“
konzentriert – hoffnungsvoll!
Daß „es“ sie zwingt, den Würfel in den Mund zu stecken, ist von der
Krankheit her ebenso normal; wenn sie reflektiert, daß „es“ sie zwingt,
handelt es sich in meinen Augen um eine verständliche, gesunde Reaktion…
Als Elke „durch den Wind“ war, hat sie übrigens nach Blumen gegriffen,
um sie zu essen; sie hat auf die Gabel gebissen, wenn ich ihr einen
Happen zu essen reichte, weil sie dachte, ich wolle sie erstechen etc. etc.
Das alles verging und das souveräne „vernünftige“ Ich kehrte zurück
2001 habe ich bzw. hat ein Es in mir spontan das folgende
(unveröffentlichte)
Gedicht geschrieben; mein Grundvertrauen war nach meiner Krebsgeschichte
dermaßen erschüttert, daß mein Verstand nicht damit rechnete, das
nächste Jahr zu überleben (ich hatte von Gestorbenen infolge von Rezidiven
erfahren); das Gedicht lehrte mich Fatalismus – ein „Ich“ kommt,
individualisiert
sich in mir, und irgendwann verläßt es mich wieder, es sagt mir nicht,
wann und wie.
Ein Ich
Ein Ich liegt in dem grauen Meer,
hat keinen Ort, hat keinen Sinn.
Es ist spezifisch auch nicht schwer.
Das war schon so von Anbeginn.
Nie hat jemand es betreten.
Wie auch, bei den steilen Wänden.
Keinen hat es je gebeten,
diesen Zustand zu beenden.
Ein Vogel landet manchmal hier.
Auch Wale schmiegen sich ihm an
und schieben es durch ihr Revier.
Das ist der ganze Ozean
der Möglichkeiten. Dorthin strebt
es längst zurück, da kam es her.
Verwandelt in Idee, die lebt,
hieß es Ich selbst und war ein Wer
aus Schlaf und Worten bis ans Grab,
ein Jemand, der im Traum es rief
vergebens. Und ließ davon ab.
Dann schwamm es fort, da der entschlief.
Liebe Grüße, Helmut
Es ist egal, was ihr in der Vergangenheit gemacht habt. Sie ist vorbei.
Es ist egal, was ihr in der Zukunft machen wollt. Sie ist noch nicht.
Alles was zählt ist dieser Moment. Er ist alles was ihr habt.
Ich werde das Bild deine r Frau mit in meine tägliche Praxis aufnehmen.
Alles Liebe,
Alf
Ostermorgen
eine herberge haben
eine heimat für die
rastlose seele
und ihr
herzeleid.
Lieber Wolfgang,
Alf hat da was sehr wahres geschrieben. Als meine Mutter an Krebs erkrankt ist, konnten die Aerzte auch nichts genaueres sagen, einfach weil es soviele verschiedene Moeglichkeiten gibt des Verlaufes von Krebs. Manchmal erscheinen Wunder, wenn man nicht mehr daran glaubt, wenn man alles so annehmen kann wie es derzeit ist, dann nimmt man erstmal Druck von sich selbst und den Erwartungen, die man hat, so sagt es meine Mutti immer.
Alles Liebe,
Jenny
Ich begleite euch mit meiner ganzen Herzenskraft.
Liebe Grüße, Zorita
Der Tod hat nicht das letzte Wort ! ! !
Ein jeder Mensch in dieser Welt,
muß mit dem Leid, Tod und Krankheit
eines geliebten Menschen fertigwerden.
Dazu wünsche ich Dir die größte Kraft
und weiteren Lebensmut, denn es besteht
die Gefahr, unweigerlich mit in
einen Abgrund gerissen zu werden.
Umarmung
Habt keine Angst, Ihr Lieben!
Es gibt nichts zu fürchten und nichts zu hoffen.
Lieber Wolfgang !
Ich habe in Abständen von zwei Tagen Deine Texte über Antje und Dich gelesen; mich haben unterschiedliche Gefühle bewegt: Ich habe über Deinen Mut gestaunt, so offen über Dich und Antje und Deine und Eure Gefühle zu schreiben…es scheint im Augenblick der einzige Weg zu sein. Es hat mich auch getröstet für Antje zu wissen, dass sie einen Menschen wie Dich an ihrer Seite hat – der nichts verbirgt und nicht davonläuft und alles teilt. Einen Menschen in solcher Not zu begleiten ist unvorstellbar schwer.
Es ist gut, dass Du Bilder von Antje hinzugefügt hast, so kann ich sie mir vorstellen, wenn ich sie in die Meditation einbeziehe. Auch Deine schemenhaften Bilder nehme ich auf, weil auch Du alle Kraft der Welt brauchst. Vielleicht kann Euch beiden die Tara-Praxis helfen? Es wird nicht einfach sein, den Alltag mit den Kindern und der Arbeit zu bewältigen und bei Antje zu sein und auch noch eine spirituelle Praxis zu verfolgen. Andererseits ist dies die einzige Praxis, die ich mir vorstellen kann: Da sein: Mit Dir, mit Antje, mit den Kindern, mit der Familie, mit den Freunden. SEIN. Ich grüße Dich von Herzen. maili
Ich weiß nicht, ob es der Mut der Verzweiflung ist…ich weiß nur, daß die Leiderfahrung alle angeht. Ich will Antjes und mein Leid mit diesem Blog nicht höher setzen als andere Leiderfahrungen. Mein Freund Helmut Ulrich hat in seiner Erkrankung soviel Dreck fressen müssen, daß mein Bericht sich eher harmlos ausmacht. Wer sich für sein Schicksal interessiert, dem empfehle ich sein Buch „verknotet“.
Für mich ist dieser Blog mein Weg mit etwas umzugehen, was mir eigentliche die Sprache raubt und übrigens, es geschieht mit Antjes ausdrücklichem Wunsch, um ihr Sprache zurückzugeben. Antjes Leid ist stellvertretend für andere leidende Menschen, die niemanden haben oder auch nicht haben wollen, der es für sie publik macht. Ich mache publik, weil mich dieses gesellschaftliche Tabu über „die Wahrheit des Lebens“ zu reden ankotzt. Besonders gerade jetzt, wo die Verteilungskämpfe in dieser Gesellschaft durch diese Bundesregierung in einem besonderen Maße angeheizt werden. Ich glaube nicht, daß wir unter dieser Regierung mehr litten, als unter anderen: Nur so lange wir nicht begreifen, daß z.b. unser Gesundheitsystem nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein Arbeitgeber und Systemträger ist, so lange laufen wir nur im Kreis umher.
Danke liebe Eva,
für Deine guten Worte.
Lieber Wolfgang !
„…Ich will Antjes und mein Leid mit diesem Blog nicht höher setzen als andere Leiderfahrungen….“
Das kommt auch bei mir nicht so an. Ich weiß, dass es sehr unterschiedliche Stufen und Formen des Leids gibt, und für jeden ist das, was er gerade erfährt, eben das, womit er/sie umgehen muss. Ich weiß aus eigenem Erleben wie schwer es ist, darüber mit anderen offen zu reden. Ich habe manchmal Angst davor, was den Menschen geschehen kann..aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, mich von diesem Thema abzuwenden.
Mich macht es ebenfalls oftmals wütend, wie unser Gesundheits-und Gemeinwesen „funktioniert“. Alles was kein Geld erwirtschaftet, ist ein Klotz am Bein. Als hätten die Politiker selbst keine Kinder, Ehepartner, Eltern die erkranken können, leiden, sterben. Als seien sie selbst unsterblich. Ob sie wohl denken, dass sie es mit Geld schon richten können? Das, was zählt, ist doch mit Geld nicht zu erwerben, nicht mit Gewalt und Macht…
Ich wünsche Dir Kraft. Und Liebe, Mut und Zuversicht.
maili
Es gibt etwas in uns, dass „unbefleckt“ immer da ist, durch Leid nicht beschattet durch Glück nicht glanzvoller. Ein Quell aus dem wir schöpfen um inmitten unseres eigenen Leid und das unserer Umgebung nicht zu verzweifeln, nicht zu ersticken, nicht unter zu gehen.
Liebe Grüße Zoriţa
Lieber Wolfgang –
habe Deinen Blog heute (am 10. 8., spätabends) einmal
wieder in Ruhe durchgelesen. Ich bewundere Deine Kraft
der Zuwendung, Deinen Willen und Deinen Mut, Antje auf
ihrem leidvollen Weg zu begleiten. Ebenso teile ich Deine
kritischen Reaktionen auf hinderliche, teilweise absurde
(bürokratische) Umstände bis hin zu Deiner berechtigten
Kritik daran, Krankheit auf die menschenverachtende Frage
des Kostenfaktors einzuengen… Ich möchte Dich ermutigen,
durchzuhalten und auch den Blog weiterzuschreiben. Du tust
das Richtige.
Wir, Elke u. ich, denken täglich an Antje und Dich. Unser
Mitgefühl ist bei Euch – vor allem die Hoffnung, daß
Antje trotz aller bitteren Nachrichten gesund wird.
Herzlich, Dein Helmut
Lieber Wolfgang,
ich habe gerade wieder einmal Deinen gesamten Blog gelesen. Mir fehlen die Worte, es ist da nur Empfindung und Tränen in mir, ich denke an Euch. Viel Kraft wünsche ich Euch.
sei umarmt, wenn ich irgendwie unterstützen kann, bitte sage es.
Dagmar
Lieber Wolfgang,
wie geht es Dir und Antje und den Kindern? Wie sehen eigentlich Deine / Eure Tage aus mit all den Alltags-Anforderungen, die ja auch noch zu bewältigen sind?
Ich glaube, es gehört zu den schwersten Kontemplationen im spirituellen Bereich zu lernen und zu akzeptieren, den Tod im Leben willkommen zu heißen. Das hört sich neunmalklug an, ist jedoch nicht so gemeint. Ich glaube, nur so ist es überhaupt zu bewältigen. Es gibt ein gutes Gedicht von Rilke, welches mich seit Jahren begleitet:
Der Tod ist groß
wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Und dann gibt es noch diese schöne, nachdenkliche Geschichte von Janosch, kennt ihr die?
„Der Tod und der Gänsehirt“ ? Mal schauen, ob ich sie hier hineinkopieren kann.
Der Tod und der Gänsehirt
Einmal kam der Tod über den Fluss, wo die Welt beginnt. Dort lebte ein armer Hirt, der eine Herde weißer Gänse hütete..
„Du weißt, wer ich bin, Kamerad?“ fragte der Tod.
„Ich weiß, du bist der Tod. Ich habe dich auf der anderen Seite hinter dem Fluss oft gesehen.“
„Du weißt, dass ich hier bin, um Dich zu holen und mitzunehmen auf die andere Seite des Flusses?“
„Ich weiß. Aber das wird noch lange sein.“
„Oder wird nicht lange sein. Sag, fürchtest Du Dich nicht?“
„Nein“, sagte der Hirt. „Ich habe immer über den Fluss geschaut, seit ich hier bin, ich weiß, wie es dort ist.“
„Gibt es nichts, was Du mitnehmen möchtest?“
„Nichts, denn ich habe nichts.“
„Nichts, worauf Du hier noch wartest?“
„Nichts, denn ich warte auf nichts.“
„Dann will ich jetzt weitergehen und dich auf dem Rückweg holen. Brauchst du noch etwas, wünschst du dir noch was?“
„Brauche nichts, hab´ alles“, sagte der Hirt. „ Ich habe eine Hose und ein Hemd und ein Paar Winterschuhe und eine Mütze. Ich kann Flöte spielen, das macht lustig. Meine Gänse verstehen nicht viel von Musik.“
Als dann der Tod nach langer Zeit wiederkam, gingen viele hinter ihm her, die er mitgebracht hatte, um sie über den Fluss zu führen. Da war ein Reicher dabei, ein Geizhals, der Zeit seines Lebens wertvolles und wertloses Zeug an sich gerafft hatte: Klamotten, auch Gold und Aktien und fünf Häuser mit etlichen Etagen. Der Mann jammerte und zeterte : „Noch fünf Jahre, nur noch fünf Jahre hätte ich gebraucht, und ich hätte noch fünf Häuser mehr gehabt. So ein Unglück, so ein verfluchtes Unglück!“ Das war schlimm für ihn.
Ein Rennfahrer war unter ihnen, der zeit seines Lebens trainiert hatte, um den großen Preis zu gewinnen. Fünf Minuten hätte er noch gebraucht bis zum Sieg. Da erwischte ihn der Tod.
Ein Berühmter war dabei, dem ein Orden gefehlt hatte, nur ein einziger Orden, für den er Jahre aufgewendet hatte, da holte ihn der Bruder Tod. Das war schlimm für ihn.
Dann war da ein junger Mensch, der hatte an seiner Braut gehangen, denn sie waren ein Liebespaar gewesen, und keiner konnte ohne den anderen leben.
Ein schönes Fräulein war dabei mit langen Haaren. Und viele Reiche, die jetzt nichts mehr besaßen, und noch mehr Arme, die jetzt auch nicht das besaßen, was sie gerne hätten haben wollen.
Ein alter Mann war freiwillig mitgegangen. Aber auch er war nicht froh, denn siebzig Jahre waren vergangen, ohne das er das bekommen hatte, was er hatte haben wollen. Schlimm für sie alle.
Als sie an den Fluss kamen, wo die Welt aufhört, saß dort der Hirt. Und als der Tod ihm die Hand auf die Schulter legte, stand er auf, ging mit über den Fluss, als wäre nichts, und die andere Seite hinter dem Fluss war ihm nicht fremd. Er hatte Zeit genug gehabt, hinüber zu schauen, er kannte sich hier aus, und die Töne waren noch da, die er immer auf der Flöte gespielt hatte; er war sehr fröhlich. Das war schön für ihn.
Janosch
….Ob ich für mich selbst so klug sein kann, wird sich zeigen.
Dir und Antje wünsche ich von Herzen, dass jeder Augenblick eures gemeinsamen Lebens licht- und liebevoll ist, vollkommen präsent und ganz willkommen.
Ich denke an Euch. maili
Lieber Wolfgang, es beunruhigt mich, gar nichts von Dir zu lesen seit….
Schaffst Du es gerade nicht? Hat sich Eure Situation verschärft – falls das überhaupt noch möglich ist?
Ich sorge mich um Euch. Herzlichst maili
Sorry…ich bin so im Stress…alles weitere später mehr ihr Lieben!
Lieber Wolfgang, danke dass Du Dich gemeldet hast!!!Alles Gute für Dich, für Euch, ich denke an Euch und schicke einen Riesen-Ballon voller blauer Herz-Energie nach Havelhöhe. maili
ich denke oft an euch beide und hoffe, dass das irgendetwas macht…
liliana
Lieber Wolfgang !
Wo bist Du, wo seid Ihr?! Ich weiß, Du brauchst gerade Zeit und Kraft für anderes….Doch gar nichts zu hören verleitet zu spekulativen Ausflügen in neblige Düsternis. Vielleicht fehlt Dir gerade der Antrieb, der Mut…
Wo auch immer Du gerade gedanklich und emotional bist, in diesen Raum schicke ich Dir helle Energie. Gleich gehe ich in den Zendo und nehme Dich und Deine Familie mit…
Liebe Grüße maili
Zur Zeit (ab heute)ist Antje zurück in der Charite.Hab sie gerade hingebracht. Es soll noch mal über eine weitere Bestrahlung nachgedacht werden, zumal sie „noch so jung“ 😉 ist.
Ich organisiere gerade die Hauspflege, schlage mich mit Ämtern und Versicherungen rum und kümmere mich um unsere Tochter und natürlich auch um meine anderen Kinder….ich schreibe bald weiter….tut mir Leid, ich wollte niemanden auf die Folter spannen.
lg
Wolfgang
Lieber Wolfgang, entschuldige bitte mein „drängen“ wenn mein letzter und vorletzter Beitrag so angekommen ist. Es sollte auch ein Zeichen sein, dass die Gedanken bei Dir/Euch sind.
Danke für Deine Nachricht. Da ich seit längerer Zeit verbunden bin mit krebserkrankten Menschen kann ich mir in etwa vorstellen, dass Du unglaublich viel zu tun und zu bedenken hast. Kommst Du eigentlich auch manchmal zur Ruhe? Das Du diese findest und Kraft hast für all Deine Aufgaben wünsche ich Dir von Herzen.
Liebe Grüße maili
In Gedanken bin ich jeden Tag bei euch.
Lieber Wolfgang, was für wunderschöne Bilder von Antje stehen jetzt hier – und darüber das tieftraurige Bild der Bikkhuni! Mir scheint, ich muss jede „normale, allgemeine“ Vorstellung von Glück und Sinn in diesem Leben aufgeben um auch nur ansatzweise einen Sinn zu finden in all dem Leid, welches Menschen heimsucht. Wie gut, dass Antje Dich hat. Und wen hast Du?
Ich denke an Euch! maili
P.S. Könntest Du meine mail-Adresse aus dem Blog löschen? Danke
Leider kann ich deine Adresse nicht löschen. Das ist hier systemverbindlich gespeichert…aber ich versuch die Admis zu erreichen, um das zu ändern.
Lieber Wolfgang – wie geht es euch!!! allen zusammen?
Nach wie vor denke ich an Antje und Dich…an Deinen Alltag, der ja auch irgendwie bewältigt werden muss, an die Kinder….
Herzliche Grüsse. eva
Hi Eva,
zur Zeit steh ich voll in der Pflege. Ich werde demnächst die Seite mit neuen Texten und Bildern versorgen, doch im Moment bin ich so eingespannt, daß keine richtige Zeit dafür bleibt.
Alles Liebe
Wolfgang
[…] The busiest day of the year was July 30th with 78 views. The most popular post that day was Hochmalignes Non-Hodgkin Lymphom des Gehirns. […]
Dein Blog ist mutig. Ich habe selbst zwei Chemos hinter mir und ahne, wie es dir geht. Schreiben kann befreiend wirken, und ich wünsche, es gibt dir Kraft.
Es war schön, mal wieder mit dir zu sprechen! Ich habe in deinem Blog gelesen – du musst dich wirklich nicht entschuldigen! Ich bin eigentlich kein Freund von Blogs, aber bei deinem konnte ich nicht aufhören zu lesen. Ich kenne keinen Menschen, der so viel Liebe in den Knochen hat wie du. Ich wünsche dir viel Kraft! Ruf mich an oder schreib mir, wenn du etwas von mir brauchst. Ich werde mich auch regelmäßiger bei dir melden.
Gestern kam mir ein Gedanke. Nimm es mir nicht übel, wenn es Unsinn ist. Du meintest, es gäbe in den USA eine Therapie, die vielleicht ganz gut wäre, die aber in Deutschland nicht gemacht werden darf. Könntest du nicht mit Antje, wenn es ihr Zustand zulässt, in die USA fahren, um dort die Therapie machen zu lassen? Man könnte dafür das Geld vom Sparbuch nehmen. Jonathan hätte bestimmt Verständnis dafür. Wahrscheinlich reicht es nicht. Ich könnte auch noch mehr dazugeben. Wie gesagt, ich weiß ja gar nicht, ob das überhaupt möglich ist. Ich musste immer wieder dran denken.
Gruß, dein Ulli
Hi,
mein Name ist Helen und ich habe deinen Blog beim Stöbern entdeckt, weil meine Zwillingsschwester (27 Jahre) auch in allen Gehirnteilen hochmalige Non-Hodkin-Lymphome hat. Nun ist sie die neunte Woche im Krankenhaus, ca. 5 Wochen hat die Diagnose gedauert (wie bei euch – viele Fehldiagnosen). Morgen soll der 3. Zyklus aus der 1. Chemo stattfinden. Hatte sich durch erhöhte Entzündungswerte (keiner – die Ärzte wissen nicht woher) nach hinten verschoben. Das Wochenende hatte sie wieder einen Epileptischen-Anfall (ihr dritter). Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so leidet, der sich selbst über Wochen nicht mehr mitteilen kann und trotzdem die Kraft zum weiterkämpfen aufbringen muss.
Sich mitzuteilen ist so wichtig für uns Menschen. Es lässt uns am Leben teilhaben.
Für meine Schwester und mich war das tägliche telefonieren unser gegenseitiges Tagebuch – um Freude, Schmerz, Wut und Liebe fest zu halten. (Wir wohnen ca. 600 km voneinander entfernt.) Seit min. sechs Wochen ist unsere innige Kommunikation entzweit, da ihr Sprechen so stark beeinträchtigt ist. Ich versuche so oft wie möglich bei ihr zu sein – muss dafür meine eigene kleine Familie zurücklassen und vergesse dabei mich selbst am meisten.
Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, es zu schaffen, für Linda (mein Zwilling), für meinen Mann und unsern Sohn (3 Jahre) da zu sein und dabei auch auf mich zu achten.
Wahrscheinlich schreiben ich dir deswegen. Vielleicht kannst du mir Hoffnung und Tipps schenken, wie ihr diese erdrückende Situation gerade meistert.
Deinen Blog finde ich sehr berührend. Ich kann das alles so nachempfinden, dass mir die Tränen über die Wange rollen und auf meinem Schoß zerplatzen….
Ich wünsche dir und deiner lieben Familie alles alles Gute.
Die Helen
Liebe Helen,
geben Sie nicht auf. Es gibt ein Leben danach. Vielleicht muß noch bestrahlt werden. Es ist oft so bei dieser Krankheit. Und machen Sie sich bitte klar, Sie wird nie wieder die „alte Schwester“ sein. Diese Krankheit und ihre Behandlung raubt oft ganzlich alles, aber auch vieles kehrt zurück, wie bei Antje.
Kämpfen Sie für Ihre Schwester und wenn die Ärzte Sie nicht aufgeben, ist auch noch alles drin. Wir hatten die Charite im Rücken und die Leute von der Intensivstation 6. Das sind die besten der Welt gewesen und selbst die hatten schwere Momente der Entscheidung zu treffen. Vertrauen Sie den Ärzten!
In tiefer Verbundenheit
Wolfgang Friedrich
Hallo Wolfgang,
habe heute zufällig Ihren Bloc gefunden. Bin zutiefst erschüttert, weil ich meinen Mann am 01.01.2010 an einem Gehirn Lymphom
verloren habe. Der Leidensweg von Antje hat mich sehr an das
vergangene Leid erinnert. Bei meinem Mann war die Krankheit
jedoch bereits soweit fortgeschritten, daß er von der Diagnose
bis zu seim Tod nur noch 3 Monate gelebt hat. Von diesen drei Monaten habe ich mit meinem Mann nur noch ca. 3 Wochen insgesamt sprechen können und dabei war er schon ganz ver-
wirrt.
Ich möchte nicht noch weiter ausholen, weil es mich auch jetzt
noch nach 2 Jahren komplett fertig macht. Wir waren 40 Jahre
verheiratet. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die wir miteinander hatten. Dankbar den Ärzten und dem Pflegepersonal, die so
zu uns gestanden und geholfen haben. Mein Mann durfte
friedlich diese Welt verlassen und mußte nicht mehr in ein
Pflegeheim.
Ich danke für Ihre Ausführungen, sie haben mir wieder ein
Stückchen bei der Trauerbewältigung weitergeholfen. Ich
verbleibe in tiefer Verbundenheit
Lore Leptajnik
Lieber Wolfgang,
bin ich viel zu spät? Habe durch eigene Erkrankung und der Suche, sie gemäß der Lehre besser annehmen zu können, deinen Blog entdeckt.
Ich finde, das was du schreibst ist geprägt und impulsiert von einer großartigen Liebe. Wie viele hier hat es auch mich sehr stark berührt und besonders beeindruckte mich, die Kraft und Stärke, mit der du die Seite gestaltet hast.
Jetzt hoffe ich, dass du meinen Kommentar noch lesen kannst und den Spruch von Meister Eckhart ebenso tröstend findest wie ich.
„Wenn ich in Gott zurückkomme, so hat mich dort niemand vermisst. Ich war nicht fort. Nie bin ich aus Gott heraus gefallen.“
Herzlich
Andreas
Lieber Andreas,
Du bist nicht zu spät:
Antje lebt und ich werde dafür weiterkämpfen. Aber ich weiß auch, daß irgedwann der Kampf ein Ende finden wird. Auf diesen Tag bereite ich mich vor, sei es ihr und mein Ende. Aber ich sage Dir auch, es lohnt sich zu kämpfen! Nicht gegen die Krankheit, nicht gegen das Schicksal, aber gegen die Ignoranz und Unmenschlichkeit von Kranken- und Rentenkassen, gegen die eingepennten Sesselpfurzer in Amtsstuben und Apparatebüros. Gegen den Starr- und Sturrsinn von Institutionen, Bürokraten und unflexibeler Rechtsgebung der Bundesregierungen! Und wieso? Weil die, die nach uns kommen, es unbedingt leichter haben sollen, mit einer Behinderung weiter leben zu dürfen und zu müssen.
Danke für Dein Mitgefühl
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
das freut mich wahnsinnig!!!! Bitte grüße deine liebe Antje von mir und teile ihr meine Freude mit.
Dein Kampfeswille sei ungebrochen und Buddha sprach ja von der „Wehrhaftigkeit“, wenn wir auf der relativen Ebene in unserem Bemühen um heilsames Handeln behindert werden.
Und euer Handeln ist ja wohl mehr als heilsam und der Erfolg sehr deutlich. Also wehrt euch weiterhin und genießt das Leben.
Herzliche Grüße
Andreas
Lieber Andreas,
ich wünsche mir für Dich und Deine Erkrankung einen ruhigen, gelassenen Weg.
Eines Tages kam eine weinende Frau auf Gautama zugestürzt: Er möge doch ihre gerade verstorbene Tochter wieder zum Leben erwecken. Gautama sagte ihr, er könne das für sie tun, aber nur unter einer Bedingung. Sie möge ihm aus irgendeinem Haus (Stammsitz einer Familie) eine Linse (Dall) bringen, in dem noch nie jemand gestorben sei. Die Frau vetsummte und ging verstört aber auch beruhigt von dannen.
In diesem Sinne möge auch Dir eine interessante Zeit beschieden sein. (chinesischer Zen Gruß)
Wolfgang